Segeln ist eine unbequeme und langsame Art des Reisens – diese Aussage stellt wohl eher ein Vorurteil der Bequemen und Rastlosen dar. Doch das Gegenteil ist der Fall: Segeln bedeutet vielmehr ein entschleunigtes Dahingleiten fernab eines oft so hektischen Alltags. Es sind die neuen landschaftlichen Perspektiven, die Nähe zur Vielfalt der Natur, die eine Beobachtung von Walen, Delfinen, Robben und zahllosen Seevögeln ermöglicht, und durchaus auch eine ordentliche Prise Abenteuerlust, die den ganz besonderen, intensiven Reiz des Segelns ausmachen. Schottland, mit seinen gut 700 meist unbewohnten Inseln und Inselchen, den zahlreichen Lochs, Firths und Sounds, den nicht selten romantischen Buchten und feinen Sandstränden und einer zum Teil steilaufragenden und zerklüfteten, mithin sehr geschichtsträchtigen Küstenlinie bietet dafür genau das ideale Segelrevier. Ideal, jedoch auch anspruchvoll, denn die schottische Ostküste grenzt an die Nordsee, die Nordwestküste an den Atlantik. Daher gilt es, Gezeitenströmungen und Tidenhub, der bis zu 4 Meter Höhe erreichen kann, immer zu berücksichtigen.
Ich persönlich bevorzuge die Nordwestküste: zum einen liegen hier die meisten der Inseln, zum anderen ist die Küstenlinie abwechslungsreicher und vielfältiger. Während manche Inseln gerne über 900m aus dem Wassern ragen, lugen die anderen schärengleich nur knapp über die Wasserlinie. Auch ist diese geringer besiedelt und für Segler, die gern in einsamen Buchten ankern, findet sich also garantiert ein geschützter Ankergrund. Obwohl künstlich angelegte Wasserwege dem ambitionierten Segler eher langweilig erscheinen mögen, seien dennoch die beiden folgenden Kanäle wegen ihrer traumhaften Landschaftseindrücke empfohlen. Die kürzeste Verbindung zwischen Ost- und Westküste ist der Caledonian Canal, der mitten durch die Highlands führt und Loch Ness mit Loch Oich und Loch Lochy verbindet. Dabei sind 29 Schleusenstufen und 9 Drehbrücken zu passieren. Eine Passage dauert in der Regel etwa drei Tage. Sie ist atemberaubend schön, sehr abwechslungsreich und ausgesprochen entspannend. Hetzen macht hier keinen Sinn. Die Schleusenwärter haben eine geregelte Arbeitszeit, die um 17 Uhr endet, danach geht nichts mehr. An zahlreichen Pontons, in der Regel mit Sanitäreinrichtungen, vor und hinter den Schleusen kann man für die Nacht festmachen. Mein Tipp: Gehen Sie im Loch Ness (Urquhart Bay) eine Nacht vor Anker, mit etwas Glück bekommen Sie wasserseits Besuch.
An der Westküste durchschneidet der Crinan Canal Knapdale nördlich der Halbinsel Kintyre und verbindet den Sound of Jura mit dem Firth of Clyde. Bei schwerem Wetter ist er neben der kürzeren auch die sicherere Verbindung, denn der Mull of Kintrye ist dann für Yachten nahezu nicht passierbar. 15 Schleusenstufen, welche zum Teil noch von Hand bedient werden, verteilen sich auf eine Länge von gut 14 Kilometern mit mehreren Drehbrücken und einer zauberhaften Landschaft und niedlichen kleinen Orten und Häfen. An der gesamten schottischen Küste, die sich sehr gut auf die Wünsche und Notwendigkeiten der segelnden Bevölkerung eingestellt hat, gibt es zahlreiche Segelzentren, Häfen und Marinas. Von hier aus lassen sich die verschiedenen historischen Sehenswürdigkeiten wie Abteien und Burgen, aber auch die hübschen Landschaftsgärten leicht erkunden. Und die Whiskyfreunde können mancherorts direkt am Anleger ihrer Lieblingsdestillerie festmachen.
Segeln und Bergwandern – zwei Dinge, die nicht zusammen passen? Doch, in Schottland schon! Man segelt sozusagen bis an ’seinen‘ auserwählten Berg heran, geht an Land und erklimmt ich sogleich. Rein zufällig liegen einige der schönsten Bergwanderstrecken Schottlands direkt am Wasser. Bei gutem Wetter sind da atemberaubende und spektakuläre Landschaftspanoramen garantiert.
Zu guter Letzt die Frage: wo kommt man an Bord bzw. zu einer Yacht?
Wer kein eigenes Schiff besitzt, kann von Deutschland aus oder in Schottland selbst eine Yacht mit und ohne Skipper chartern. Und die Möglichkeit, bei zahlreichen angebotenen Törns eine Koje zu buchen, besteht ebenfalls. Mast und Schotbruch!
Rudi Hirst
– Passionierter Schottland-Segler
Fotocredits: Udo Haafke / Rudi Hirst