Wer erstmals in Gretna Green die imaginäre Grenze nach Schottland überquert und sich verliert in den arg kommerziellen Souvenirshops, die zwischenzeitlich rund um die legendäre Hochzeitsschmiede wie Pilze aus dem Boden schossen, der muss den Eindruck gewinnen, dass die Schotten vor lauter Klischeelast kaum noch zu einer Bewegung fähig sind und ihr Dasein nur aus Karos, Haggis, Whisky, Golf und Drachenjagd besteht. Gleichwohl trifft man just dort lediglich auf einen einzigen kultigen Kiltträger, der voller Inbrunst dem Dudelsack quäkende, durchdringende Melodien und Weisen entlockt.
Bei der weiteren Landeserkundung stellt der Reisende alsbald fest, dass dieses zunächst erlebte vordergründige Übermaß an zur Schau gestellter Tradition im wirklichen Leben nur selten anzutreffen ist, und wenn, dann vornehmlich an touristisch attraktiven Orten und Plätzen und bei entsprechenden öffentlichen Veranstaltungen.
Natürlich trägt der Schotte gerne seinen Kilt, doch bedarf es dazu meist eines besonderen Anlasses, auch wenn ihn mittlerweile die junge Generation als festen, modischen Bestandteil für sich entdeckt hat, und reagiert ausweichend, aber garantiert launig auf die Frage, was er denn darunter noch so tragen würde. Und hieraus können wir schon einige, sehr typische Charaktereigenschaften erkennen: den Stolz auf das Land und seine Geschichte, die eng mit dem für Nicht-Schotten so ungewöhnlichen Beinkleid einhergeht, und den Humor, der nur selten verletzt, wenn er sich nicht gerade gegen den ungeliebten englischen Nachbarn richtet, und immer auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie versehen ist.
Die Gastfreundschaft und Kommunikationsfreude der Schotten kann als sprichwörtlich umschrieben werden, da sie von großer Warmherzigkeit geprägt ist. Sei es nun in geselliger Runde im Pub beim Pint oder Whisky oder beim hilfsbereiten Erklären des Weges. Eine aus der Geschichte erwachsene Sparsamkeit, die gern als Geiz kolportiert wird, stimmt hingegen in keinster Weise und bezieht sich erst recht nicht auf die Bereitschaft zu teilen. Hingegen ist der urschottische Eigensinn mit einer gewissen Sturheit liiert und sorgt für so manche Skurrilität im Alltag, die sogar hin und wieder als liebenswerte Tradition angesehen wird.
Fotocredits: Udo Haafke