Schottland gehört zu Großbritannien und die Amtssprache dort ist natürlich Englisch. Hat der Reisende aber nun die Borders erreicht und kommt in den ersten kleinen schottischen Dörfern mit den Bewohnern ins Gespräch, wird er alsbald bemerken, dass das Englische hier durchaus von der eigentlich bekannten Sprache abweicht. In der Tat werden nämlich drei Sprachen im Land gesprochen.
Das resultiert einerseits aus der Tatsache, dass es wie überall auf der Welt regionale Dialekte und eigene Sprachnuancierungen gibt, je weiter vom Strom abgelegen, desto unverständlicher, möglicherweise jedenfalls. Zum anderen aber auch aus dem hartnäckigen Fortbestand der eigenen Sprache, dem Scots, die sich mit dem Englischen teils recht eigentümlich vermischt, und dem Gälischen.
Scots ist die Sprache der schottischen Lowlands und der Inseln im Norden, Orkney und Shetland. Es basiert auf der alten Nordenglischen, also Germanischen Sprache und ist stark mit Einflüssen aus Skandinavien durchsetzt, die von den Wikingern im 9. und 10.Jahrhundert mitgebracht wurden. Viele Worte in Scots sind identisch mit Worten, die man in gleicher Schreibweise und Bedeutung noch heute auch in Schweden oder Norwegen findet. Etwa ab dem 12.Jahrhundert breitete es sich in den südlichen Landesteilen aus, übernahm dabei Begriffe aus dem Lateinischen, dem Gälischen, aus Französisch oder Niederländisch und war demzufolge sowohl beim Adel als auch im Volk sehr gebräuchlich. Der Nationaldichter Robert Burns verfasste viele seiner Arbeiten in Scots.
Regionale Unterschiede und Abweichungen bzw. eigene Dialekte erschweren es dem Außenstehenden Scots wirklich gut zu verstehen. In Ayrshire oder auf Shetland klingt es zwar ähnlich, viele Vokabeln sind jedoch anders. Vor allem das Glaswegian stellt den Zuhörer vor so manches, nicht nur akustisches Rätsel. Scots erfreut sich immer noch großer Beliebtheit und wird beinahe liebevoll gepflegt und gehört häufig zum alltäglichen Sprachgebrauch, selbst große weltliterarische Werke werden ins Scots übersetzt. Im Rahmen der Europäischen Charta für Regional- und Minderheitensprachen ist es von Großbritannien anerkannt.
Während sich Scots nach mehrmaligem Zuhören durchaus sprachlich erschließen lässt, sieht es mit dem Gälischen, richtigerweise mit dem Schottisch-Gälischen, komplett anders aus. Die im Gesang so wunderbar klingende Sprache stellt für jeden, der nicht mit ihr aufgewachsen ist, eine echte Herausforderung dar. Offensichtlich stimmt nämlich das Gesprochene überhaupt nicht mit dem parallel Gelesenen überein. Die zweisprachigen Ortsschilder auf den Hebriden-Inseln können hier beispielhaft herangezogen werden. Alle Buchstaben, es sind im gälischen Alphabet nur 18 bekannt, befinden sich in einem permanenten Gefechtszustand mit- und gegeneinander, erzeugen ein chaotisches Wirrwarr scheinbar willkürlich aneinandergereihter Lettern, die erstaunlicherweise auch noch nach festen Regeln und Gesetzmäßigkeiten fungieren. Keine andere europäische Sprache vermag aus 18 Buchstaben 90 Laute zu erzeugen.
Gälisch begründet sich auf der Sprache der Kelten, hat also einen indo-europäischen Hintergrund, und war bis zum Beginn der modernen Zeitrechnung durch dieses nomadisierende Volk weit in Europa verbreitet. Der Verdrängungsprozess, der durch die Ausbreitung des Römischen Reiches einsetzte, erfasste zwar beinahe den kompletten Kontinent, gelangte aber nur bedingt auf die Britischen Inseln. So war es vor gut 1000 Jahren offizielle Amtssprache im ganzen Land (neben Latein) und wurde auch am Hof des Königs gepflegt. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten schriftlichen Belege.
Veränderungen im Königshaus waren jedoch dafür verantwortlich, dass Englisch plötzlich an Gewicht zunahm und das Volk dem Hofstaat folgte. Denn als die Sachsen-Prinzessin Margaret (Mhúir Margaret Athelinga) König Maol Chalum a Chinn ehelichte, stellte man zur Gänze auf das Englische um, da die holde sächsische Schöne partout das Gälische nicht erlernen wollte (oder konnte). Die Reformation kam, Englisch zu sprechen, Protestant zu sein, galt als modern, lediglich in den Highlands blieb man streng katholisch und bei der alten Sprache, die nun in den teilweise berechtigten Verruf geriet engstirnig, rückständig und eigenbrötlerisch zu sein. Politische Wirren gipfelten 1746 in der Schlacht von Culloden nahe Inverness mit dem Sieg über die Aufständischen des Hochlandes, als die Regierung den Tartan, die traditionellen Musikinstrumente und eben auch die Sprache mit aller Macht zu unterdrücken suchte, was letztlich, aus heutiger Sicht glücklicherweise, doch nicht gelang.
Die Einführung der Schulpflicht in Schottland 1872 änderte daran nichts, im Gegenteil, Kinder, die Gälisch sprachen wurden geschlagen, ausgesondert als minderwertig diskreditiert bis sie aus lauter Verzweiflung das Gälische aufgaben. Doch selbst derartig drakonische Maßnahmen vermochten die Sprache nicht vollständig auszurotten. Eine psychologische Trotzreaktion trat auf den Plan. Der Zensus von 1971 brachte das überraschende Ergebnis, dass die Zahl der Gälen um 10 Prozent gegenüber der vorangegangen Zählung aus dem Jahr 1961 angestiegen war, was der Regierung natürlich überhaupt nicht ins bürokratisch geplante Konzept der Sprachbereinigung passte, den Betroffenen einen unverhofften Anschub gab und in der Gründung einer eigenen Radiostation gipfelte. 2008 ging schließlich mit BBC Alba ein gälischer TV-Kanal auf Sendung.
Gälisch war und ist einer permanenten Veränderung unterworfen. Während auf den Hebriden, dem regionalen Schwerpunkt des Gälischen, die Sprachgemeinde langsam schrumpft, erobert sie allmählich die Lowlands oder eine Stadt wie Glasgow. Hier sind günstigere Möglichkeiten vorhanden, Gruppen zusammenzubringen, welche die alltägliche Sprachpraxis üben. Um darüber hinaus beständig als Unterrichtssprache eingesetzt werden zu können, musste man sowohl das Dezimalsystem wieder einführen, neue Fachbegriffe im Bereich der Naturwissenschaften schaffen. Inkonsequente Rechtschreibreformen trugen zur allgemeinen Verwirrung über korrekte Schreibweisen bei. Lehrbücher, didaktisch nur unzureichend schlüssig formuliert und Wesentliches nur aus dem Englischen adaptierend, vergrößerten die Schwierigkeiten für Lehrer und Schüler. Kreative Köpfe denken sich unterdessen neue Terminologien für moderne, internationale Wortschöpfungen des digitalen Zeitalters aus, die von der Sprachgemeinde diskutiert und übernommen werden.
Gleichzeitig untermauern sie damit die große Flexibilität dieser Sprache und ihren unbedingten Überlebenswillen. Einer Sprache, die kein Wort für Ja oder Nein, keinen Begriff für haben kennt, deren grammatikalische Logik und strenger Aufbau üblicherweise erst auf den zweiten Blick realisiert wird. Einer Sprache, die Sätze mit Verben beginnen lässt, die beim ersten Hinhören arabisch-orientalisch anmutet. Eine Sprache voller geschichtlicher Tiefe, deren Erlernen besondere Anforderungen an den engagierten Schüler stellt.
Fotocredits: Udo Haafke