Home Expertenteam Zum Spukschloss im Shire

Zum Spukschloss im Shire

von Wilfried Klöpping

Trutzige Festungen und verlassene Schlösser scheinen beliebte Behausungen für die Übersinnlichen zu sein. Jedoch viel öfter begegnet man neugierigen Besuchern, die an diesen Herrschaftssitzen die Mystik Schottlands suchen. Unter den 15 Schlössern des Castle Trails im Aberdeen Shire ragt das Anwesen von Fyvie besonders heraus. Nicht der imposante Bau des Herrensitzes mit seinen fünf Türmen erhob es in den höchsten Rang eines exquisiten Schlossmuseums. Vielmehr sorgen die überbordende Ausstattung des Anwesens und seine geistreiche Geschichte für Ohs und Ahs bei der Besichtigung, geführt von einem stolzen jungen Schotten in Kilt und Jackett. Andrew beginnt seinen Rundgang in der Eingangshalle und klärt die deutsche Besuchertruppe zunächst über die Herkunft der auffallend grinsenden Ritterrüstung hinter dem Ticket-Schalter auf. „Der eiserne Mann fand seinen Weg im 17. Jahrhundert aus Nürnberg in die Sammlung Fyvies.“ Darüber prangen an den hohen Wänden zahlreiche Trophäen aus dem umliegenden Waldgebiet. Schon im 13. Jahrhundert berichtete man vom Jagdschloss Fyvie, das in den folgenden Jahrhunderten Politiker, Adlige, Industriemagnaten und sogar Könige bewohnten und besuchten. Nach anfänglicher Funktion als Festung für William den Löwen, hielt Robert the Bruce auf Fyvie Hof und Gericht bis das Bollwerk schließlich in private Hände ging und seit dem 14. Jahrhundert nacheinander von fünf wohlhabenden Familien belebt und erweitert wurde. Die Prestons, Meldrums, Setons, Gordons und Leiths schufen aus dem Bau ein architektonisches Sammelsurium der Neugotik. Eine jede Familie addierte einen Turm oder Flügel und reichlich prunkvolles Mobiliar. Vom Billardzimmer gelangen wir zur großen Wendeltreppe. Der größten in Schottland, „so breit, dass vier Pferde nebeneinander auf ihr gehen könnten.“, erklärt der junge Mann im Karo-Rock. Dieses „Pferdemaß“ legte die Gordon-Familie im 17. Jahrhundert fest, als sie aus lauter Lust und Langeweile die Steinspirale für ihre dekadenten Inhouse-Pferderennen zweckentfremdete. Heute staunt man sich über die Treppe nach oben in den Diningroom, den Stahlmagnat Lord Forbes-Leith zu Beginn des letzten Jahrhunderts in rote Stofftapeten hüllte, mit Porträts von Familien und Freunden ausstattete und allerhand Glas auftafelte.

Von der großen roten Halle mit ihrer wappenverzierten Stuckdecke schreiten wir durch weitere Gemächer, vollgestopft mit Sesseln, Sekretären und sammelleidenschaftlichen Errungenschaften. In der Bibliothek kommen die roten Wände erneut auf uns zu. Büsten von Mördern und Bösewichten stehen auf dem obersten Regalbrettern. „Eine Zeit lang war man der Meinung, an der Kopfform den Charakter eines Menschen erkennen zu können“, erklärt unser Führer die halbwissenschaftlichen Bestrebungen eines der Schlossbesitzer, der auf den Gipsmasken Felder und Zonen markiert hatte. Während wir noch die Gemälde im Nebenraum betrachten, ist der herumführende Schotte bereits im nächsten Zimmer, dem Drummonds Room. Der junge Mann hebt die Stimme an: „In diesem Raum verbrachte Lord Alexander Seton die Hochzeitsnacht mit seiner zweiten Frau.“ Und senkt die Stimme „nachdem er seine erste Frau in einem anderen Raum des Schlosses zuvor hatte einschließen und verhungern lassen.“ Entsetzen und Sensationslust in den Augen seiner Zuhörer. Er öffnet das Fenster, wie es wohl auch Lord Seton am nächsten Morgen im Jahre 1601 tat, und eine kleine Gruppe Schlossbesucher blickt auf die sieben Zentimeter großen Buchstaben, die dort in den Fenstersims gemeißelt stehen: D LILIES DRUMMOND. „Der Name seiner ersten Frau“, erläutert der junge Mann – von außen in den Sims geritzt, 15 Meter über dem Erdboden. Die einzige Erklärung blieb bis heute: Der Geist der verstorbenen Lilias Seton, geb. Drummond, kratzte ihren Namen als Warnung vor das Schlafzimmerfenster. Seitdem geistert die Verstorbene in einem grünen Kleid durch die oberen Gemächer des Schlosses. „Sie tut nichts böses“, beruhigt man die skeptischen Besucher. Die Grüne Lady würde nur hin und wieder nach dem Rechten schauen. Sie käme meist in eine Wolke Rosenduft gehüllt und verbreite eine kühle Atmosphäre. Augenblicklich beginnen sich Nasen zu recken und zu schnuppern. Wo ist sie jetzt? Man folgt ab jetzt Schlossführer Andrew sehr abgelenkt, versucht doch jeder einen Hauch Rosenduft zu erhaschen. Doch auch in der alten Urkundenkammer bleibt die Luft blumenfrei. Stattdessen blickt man in dem engen holzverkleideten Räumchen auf eine weitere Vitrine, darin eine Schüssel und ein Stein. Dies sei der Fluch von Fyvie. Beziehungsweise sein Grund. Die Aufmerksamkeit ist zurück.

„Seit über 600 Jahren lastet der Fluch auf den Fyvie-Besitzern“ wispert der Führer. Ein reisender Seher sei im 14. Jahrhudert zum Schloss gekommen und habe die Tore nicht geöffnet vorgefunden. Für Reisende hielt man zu der Zeit immer ein Zimmer bereit, aber ein Sturm hatte Tomas de Rymer die Tür vor der Nase zugehauen, was er sehr übel nahm. Er belegte das unfreundliche Haus und seine Herren mit einem undurchsichtigen Fluch. „Drei Steine hatte er in den Schlossmauern benannt. Bevor sie nicht gefunden seien, würde jeder, der hier lebt, verflucht sein.“ Man blickt bedächtig auf den einzelnen Backstein in der Vitrine. Ja, es sei nur dieser eine gefunden worden. Die anderen sind immer noch versteckt, niemand wisse wo. Und so kommt es, dass seit Jahrhunderten der jeweils erstgeborene Sohn seinen Vater nicht überlebte, um Fyvie zu erben. Den gefundenen Stein nennt unser Führer bedeutungsvoll den weeping stone, Trauerstein, denn der Sandstein würde gelegentlich Nässe speichern und einen weinenden Eindruck machen. Seit der letzte Lord Forbes-Leith 1984 das Schloss an den Schottischen Denkmalsverein verkaufte, sei der Fluch quasi gebrochen, allerdings habe der jetzige Direktor des Hauses auch nur Töchter. Die Zuhörer sind beeindruckt und sogar etwas angegruselt. Die einen fröstelt es bereits, während die Skeptiker argwöhnen, dass dies in Erkerzimmern nichts Außergewöhnliches sei. So begibt man sich wieder zur großen Wendeltreppe und gelangt dieses Mal in die Galerie, in der weitere Reste der holländischen Fregatte fulminant verbaut wurden. Orgel, Klavier und Bestuhlung stehen bereit für ein Konzert unter einer handgeschnitzten Kuppel. Erst kürzlich habe man in diesem kirchlich anmutenden Galazimmer einen Hochzeitsempfang gegeben. Das Anwesen und einige seiner 100 Räume können angemietet werden. Zu aller Beruhigung kann Andrew garantieren, dass bisher weder die Grüne Lady zu den Partys erschienen sei, noch hatte kein Brautpaar einen verstorbenen Sohn zu vermelden. „Fyvie ist prunkvoll. Fyvie hat etwas Mystisches. Aber es ist längst kein Horrorschloss.“

Claudia Ottilie
-Reisejournalistin – Fotografin – Online-Redakteurin

Zusätzliche Informationen

Fotocredits: Claudia Ottilie

Das könnte Ihnen auch gefallen...