Die Megalithkultur (griech: „mega“=groß und „lithos“= Stein) ist als Großsteinkultur überall in Europa verbreitet. Neben den grandiosen Tempeln von Malta, den Steinreihen der Bretagne und den hierzulande als ‚Hünengräber‘ bekannten Dolmen in Deutschland gibt es nirgends so viele Anlagen und Kultplätze der Großsteinkultur wie auf den britischen Inseln. Das gewiss bekannteste Monument ist Stonehenge in Südengland – seit dem Mittelalter im Zentrum von Mythen und Legenden und bis heute voller ungelöster Rätsel. Auch in Schottland gibt es zahlreiche derartige Zeugnisse der steinzeitlichen Kultur – ein Paradebeispiel ist der atemberaubende Kultplatz von Callanish auf der äußeren Hebrideninsel Lewis. Zwar findet sich manchmal in der einschlägigen Literatur seine Apostrophierung als ’schottisches Stonehenge‘, insgesamt aber sind die Anlagen im Hochmoor von Callanish schon wegen ihrer geografischen Abgeschiedenheit viel weniger bekannt als die südenglischen Monumente in Stonehenge oder der gewaltige Steinkreis von Avebury. Experten haben mehre Bauphasen für die ‚Stehenden Steine‘ von Callanish ermittelt, alle zwischen 3.000 und 800 v.Chr.
Die Anlage weist einige höchst bemerkenswerte Besonderheiten auf: es handelt sich nicht nur um Steinkreise – im Fachjargon „Cromlechs“ oder stehende Steine – „Menhire“ – oder Steinreihen – „Alignements“ – alleine, sondern um eine einzigartige Kombination aus diesen. Mehrere Kreise aus fünf bis acht Granitblöcken gehören zur Anlage, einige davon mit vermutlichen Verbrennungsplätzen für Opfer- oder Bestattungsrituale. Verbunden sind Sie durch einzelne Menhire oder durch Steinreihen. Ein symmetrischer Steinkreis – nicht exakt kreisförmig, sondern aus 13 Steinen oval gebildet – befindet sich im Zentrum der Kultstätte und wird von einer kreuzförmigen Steinsetzung mit exakter Nord-Süd-Ausrichtung geschnitten. Dabei ist die Symmetrieachse des Kreises genau von Osten nach Westen ausgerichtet, also vermutlich ein klarer Bezug zum Sonnenlauf mit Hinwendung zu deren Aufgangspunkt zur Tag-und-Nacht-Gleiche. Insgesamt schreibt man den Grund für die Anordnung der Gesamtanlage aber der Beobachtung und vielleicht sogar Berechnung des Mondes zu – denn knapp alle 19 Jahre gibt es eine bemerkenswerte Stellung des Mondes über den Formationen der umgebenden Hügel. Dabei entsteht der Eindruck, der Mondlauf würde der Silhouette der Hügel folgen. Viele Spekulationen hat es darüber schon gegeben, denn auf den Inseln gibt es uralte Geschichten darüber, dass der ‚Mond die Erde besucht und mit ihr tanzt‘.
Erstaunlicherweise ermöglicht es die betreffende Anordnung der Steine, die von Experten „Caldragh Idols“ genannt wird, ziemlich exakt das Eintreffen dieser Himmelserscheinung vorauszuberechnen. So könnte es hier ähnliche Kalender- und astronomische Berechnungsfunktionen gegeben haben, wie sie dem weit bekannteren Stonehenge im Süden Englands zugeschrieben werden. Fragen kann man dazu niemanden mehr, denn die „Calanais Standing Stones“, wie sie im Gälischen heißen, wurden schon vor beinahe dreitausend Jahren aufgegeben. Seit etwa 800 v.Chr. wurden die ursprünglich wohl etwa 20 verschiedenen Steinmonumente – deren größte, tonnenschwere Steine bis zu 4,75 m aus dem Boden ragen – vom Torf der Hochmoorbildung verschlungen. Seit 1857 wurden dann insgesamt 12 steinerne Anlagen ausgegraben und beeindrucken die Wissenschaftler. Zwar sind die verwendeten Steine unbehauen – anders als z.B. in Stonehenge – aber die Anlage ist nahezu vollständig erhalten. Dennoch – jeder, der diese megalithische Kultstätte am Westrand Europas besucht, kann sich der Ergriffenheit und dem Hauch von Mythos und Geheimnis, der die Steinsetzung umweht, nicht entziehen.
Dr. Michael Krause
Zusätzliche Informationen
- Webseite von Callanish Standing Stones
Fotocredits: Historic Scotland