Die Hebriden befinden sich am äußersten Rande Europas. Die Anreise
kann unter Umständen schwierig sein: Wer die nicht immer ganz
verlässliche Fähre nehmen will, muss damit rechnen lange unterwegs zu
sein* – wird aber schon auf dem Weg von Glasgow, Edinburgh oder
Inverness mit spektakulären Aussichten belohnt. Die Äußeren Hebriden
umgibt eine Aura des Ursprünglichen. Es ist wahrscheinlich einer der
letzten Orte Europas, der nur mit zweitägiger Anreise von Berlin zu
erreichen ist. Schnell stelle ich fest: Handyempfang ist Glückssache und
zum Internetsurfen muss ich in eine Community Hall fahren. Vom nächsten
Pub trennen mich knapp 30 Minuten Autofahrt, die aktuelle Tageszeitung
kommt erst nachmittags in den Verkauf.
Auf den Hebriden ist
Tradition wichtig: Hier leben die meisten Gaelic-Sprecher Schottlands,
es gibt Unterricht für traditionelle Instrumente und Volkstänze. Noch
bis in die 30er Jahre wurden einige Berufsgruppen mit Sachgütern für
ihre Arbeit entlohnt. Die Menschen waren mehr aufeinander, als auf die
Außenwelt angewiesen. Viele der Verbindungsstraßen zwischen den Inseln
wurden erst in den 70er Jahren gebaut. Die 72-jährigen Bäuerin Ena
MacDonald kann sich noch gut an diese Zeiten erinnern: „Früher ist man
halt einfach nicht auf die Nachbarinseln gefahren“.
Doch auch
heute sind längst noch nicht alle Inseln der Hebriden erschlossen: Auf
North Uist treibt Ena zusammen mit ihrem Sohn Angus einmal im Jahr eine
Herde von 400 Hochlandrindern mitten durchs Watt auf eine entlegene
Insel. Hier werden die Tiere im Winter grasen und in verlassenen Buchten
aufs Meer hinausblicken können.
Die Abgeschiedenheit der
Hebriden gibt dem Besucher eine gewisse Ruhe und die Muße, sich auf die
imposante Umgebung einlassen zu können. Wer gerne fotografiert, wird
nicht enttäuscht: Auf den Hebriden warten menschenleere Strände und
türkis-blaues Wasser. Im Norden sind die Inseln Harris und Lewis von
schneebedeckten Bergen und tiefblauen Seen durchzogen. Im Landesinneren
der Inseln nutzen die Einheimischen die Hochmoore, um per Hand Torf
abzubauen.
Diese außergewöhnliche Landschaft inspiriert auch den
Künstler Jac Volbeda. Der gebürtige Niederländer betreibt ein Bed &
Breakfast auf der Insel Baleshare. Die vielfältige Landschaft der
Hebriden inspiriert seine Gemälde, die er in alle Welt verkauft, zum
Beispiel durch Saatchi in London oder die Holland Art Gallery in
Amsterdam. Sein Haus ist gleichzeitig Atelier und bietet spektakuläre
Aussichten auf die Bucht der Insel.
Die Natur inspiriert auch die
Farben und Muster vom sogenannten Harris Tweed. Fast 200 Weber stellen
den Stoff per Hand her, meist in kleinen Hinterhofscheunen. In
Luskentyre webt Donald John Mackay seit 43 Jahren den Stoff, den man
heute bei allen großen Fashion Labels der Welt findet. Das war nicht
immer so, erst ein großer Auftrag für Nike konnte der Industrie 2004
wieder neues Leben einhauchen.
Donald John Mackay lebt auf der Insel
Harris in den Äußeren Hebriden und webt seit 43 Jahren an einem
Pedal-betriebenen Webstuhl. Arbeitsraum und Ladengeschäft sind in einer
Scheune, gleich neben seinem Haus mit Blick auf den Strand von
Luskentyre. Harris Tweed ist eine Form des Tweeds, die nur auf den
Äußeren Hebriden in Schottland hergestellt werden darf. In jedes
Kleidungsstück ist ein Echtheitsetikett eingenäht, das das Markenzeichen
des Harris-Tweed, den Orb, einen Reichsapfel, trägt. Tweed wurde seit
altersher in ganz Schottland hergestellt. Mit der industriellen
Revolution wurde das Weben von Hand unwirtschaftlich, und Webmaschinen
ersetzten den Webstuhl. Lediglich auf den abgelegenen Äußeren Hebriden,
die damals schon für die Qualität ihres Tweeds bekannt waren, wurden
manuelle Fertigungsmethoden beibehalten. Jüngst erlebte Harris-Tweed
eine wahre Renaissance, die mit dem plötzlichen Interesse des
Sportmultis Nike einsetzte. Mittlerweile werden Fashionlabels überall in
den Metropolen der Welt verkauft.
Seitdem locken die Hebriden
auch wieder junge Menschen an: „Es gibt Industrie und das Internet hat
das Inselleben in vielerlei Hinsicht demokratisiert“, erklärt Norman
Mackay, der mit seiner Frau Leona nach 15 Jahren in Glasgow wieder auf
die Hebriden zurückgezogen ist. Jetzt hat er seinen kleinen Sohn Jac,
betreibt ein B&B bzw. Selbstversorgerhaus in Luskentyre und arbeitet
über das Internet für eine Firma in Glasgow, die Glühbirnen verkauft.
Auch wenn das Internet noch nicht richtig funktioniert und der
Telefonmast des Ortes abgeknickt ist: Die Vorteile eines Lebens am
wahrscheinlich schönsten Strand Schottlands kann das nicht aufwiegen.
Als
ich mich über die hügelige, einspurige Straße dem nördlichen Ende der
Hebriden und gleichzeitig dem Ende meiner Reise nähere, schlägt
plötzlich das Wetter um. Doch die raue Landschaft von Lewis gewinnt im
Unwetter geradezu an Attraktivität. Starker Wind peitscht das Meer an
die Hafenmauern des Port of Ness, dem nördlichsten Ort der Hebriden.
Zahlreiche Fischerboote schaukeln unruhig hinter der schützenden Mauer.
Heute werden garantiert kein Hummer und auch keine Jakobsmuscheln
gefangen.

Ich beschließe zum Abschluss in einem kleinen Restaurant eine kulinarische Spezialität der Hebriden zu testen. Carrageen Pudding ist ein aus Seegras hergestellter Pudding, der nach nichts schmeckt und mit etwas Sahne oder Eis serviert wird. Während der Wind an die Scheibe schlägt, wärmt mich der nach verbranntem Torf riechende Kamin und versetzt mich zum letzten Mal in einen Zustand von meditativer Entspannung.
Ich beschließe zum Abschluss in einem kleinen Restaurant eine kulinarische Spezialität der Hebriden zu testen. Carrageen Pudding ist ein aus Seegras hergestellter Pudding, der nach nichts schmeckt und mit etwas Sahne oder Eis serviert wird. Während der Wind an die Scheibe schlägt, wärmt mich der nach verbranntem Torf riechende Kamin und versetzt mich zum letzten Mal in einen Zustand von meditativer Entspannung.
Ein Anflug von Stress stellt sich erst wieder ein, als die Fährgesellschaft plötzlich und unerwartet meine Verbindung wegen Sturm absagt*. Aber meine B&B Eltern Norman und Leona Mackay haben das schon oft erlebt und dank ihrer Beratung kann ich über eine alternative Verbindung am nächsten Morgen doch noch meinen Flug pünktlich erreichen.
„Zu Tisch auf den Hebriden“ ist ab Ende 2013 auf arte zu sehen.
Martin Koddenberg
*Top-Tipp: Die Fährgesellschaft CalMac hat eine iPhone App entwickelt. Sie bietet ständige Status-Updates. Umbuchen kann man unkompliziert per Telefon.
Zusätzliche Informationen
- Webseite von Facebook
- Webseite von Caledonian MacBrayne
Fotocredits: Martin Koddenberg