Amy und Rachel, Daniel und Josef verbreiten Angst und Schrecken in den Räumlichkeiten der Sma Shot Cottages im Herzen der schottischen Stadt Paisley. Zwischen historischem Mobiliar und alten Webstühlen, Spinnweben, rußigen Kaminsimsen, gehäkelten Tischdecken und verblichenen schwarz-weiß Fotografien gehört ihre gespielte Geisterstunde im blassen Schein flackernder Kerzen und tiefer Schatten zu den aufregenden Events im Rahmen des alljährlich seit 2014 am letzten Oktober-Wochenende ausgerichteten Halloween Festivals. Verkleidet als düster-geheimnisvolle Gestalten, potenzielle Straßenräuber und Hexen mit düsteren Masken und bleichen Gesichtern jagen sie ihren Gästen ein übers andere Mal kalte Schauer über den Rücken, treiben selbst dem hartgesottensten, vermeintlichen Geisterjäger Angstschweiß auf die Stirn.


Nach 50 Minuten ist der Spuk jedoch vorbei, die winzigen Ausstellungsräume erfüllen wieder ihren ursprünglichen Zweck als lebendige Dokumentation einfachen Lebens. Kleine Häuser wie diese zwischen Shuttle Street und Sma Shot Street prägten vor knapp 200 Jahren weitgehend das Bild der Stadt, die zu dieser Zeit mit unzähligen Webereibetrieben gar international bedeutsames Zentrum der Textilindustrie war. Nun stehen sie beinahe verschämt, aber glücklicherweise nicht vergessen zwischen Reihenhäusern, dem Campus der Universität und einer erstaunlich dichten Phalanx aus Gastronomie und lebhaften Clubs. Paisley, der Geburtsort des durch »Baker Street« unsterblichen Gerry Rafferty, war in den späten 1970er Jahren eine Hochburg des Punks, weil die Musiker dieses Genres im benachbarten Glasgow nicht erwünscht waren.


Der ursprüngliche Hintergrund des sich etablierenden Festivals, zumal in einer eher veranstaltungsarmen Jahreszeit, liegt in der Tatsache begründet, dass in Paisley im Jahr 1697 die letzte Massenhinrichtung von Hexen stattfand. Sieben Frauen und Männer wurden im Juni des Jahres vor großem Publikum exekutiert. Beschuldigt der Hexerei wurden noch viel mehr Personen, begründet auf Verleumdung, vagen Mutmaßungen und Verschwörungstheorien, wie sie im 21. Jahrhundert wieder aktuell sind. Die Vorgänge um diese Geschehnisse wurden überaus detailliert dokumentiert. Gleichzeitig läuteten sie aber auch das nahe Ende der Hexenverfolgung nicht nur in Schottland ein. Als Treppenwitz der Geschichte mag erscheinen, dass ausgerechnet Christian Shaw, die die Anklage und letztliche Verurteilung der mutmaßlichen Hexen und bösen Zauberer auslöste, nur wenige Jahre später aufgrund geschickter wirtschaftlicher Aktivitäten für den Wohlstand der Stadt verantwortlich war.


Paisley, Schottlands größte »town«, größer als einige der acht offiziellen schottischen Citys, wurde just wenige Tage vor dem diesjährigen Halloween-Festival zu »Scotland‘s Town of the Year« geadelt. Damit kann sie einen weiteren Schritt in Richtung Aufschwung vollziehen, der mit der letztlich zwar gescheiterten Bewerbung zur britischen Kulturhauptstadt 2017 endgültig einsetzte. Der positive Weg ist vorgezeichnet und so bildet das herbstliche Fest ein fröhliches Ausrufezeichen, trägt mehr Akzente eines bunten Karnevals denn der Abschreckung böser Geister und finsterer Wesen der Unterwelt, wie es im ursprünglichen keltischen Sinn gedacht war. So stehen Freitag- und Samstagabend nach Einbruch der Dunkelheit ganz im Zeichen der Halloween-Parade. Gesäumt von unzähligen großen und kleinen Zuschauern durchmessen Musik- und Tanzgruppen die Straßen der Innenstadt um die jüngst zum Kulturzentrum umgewidmete Town Hall und die für die Geschichte Paisleys bedeutsame, überaus sehenswerte Paisley Abbey aus dem 12. Jahrhundert.


Laut- und lichtstark angeführt von den LED-Trommlern Spark!, prächtig illuminiert in ihren bizarren Kostümen, folgen zunächst lokale Tanzensembles mit einstudierten choreografischen Einlagen zu geläufigen Melodien, die überwiegend im Zusammenhang mit Grusel und Gespenstern stehen und vom Publikum begeistert mitgesungen werden. Liebevoll meist aus Stoff und Papier gestaltete, überdimensionale Figuren, bekannt aus Film und Fernsehen, schließen sich in Begleitung kostümierter und maskierter Grüppchen »spuktakulär« an. Durch das bunte Lichterambiente verliert ihre ambitionierte Geisterhaftigkeit etwas an Gewicht, was der allgemein ausgelassenen Stimmung insbesondere unter den Jüngsten wahrlich keinen Abbruch tut. Auf die Ankunft des Großen Kürbis, wie einst Linus van Pelt, wartet eigentlich auch niemand.


Die orangerote Frucht spielt nur eine untergeordnete Rolle. Lediglich verschiedentlich in den dekorierten Schaufenstern an der High Street ist sie zu sehen, ziert manch ein kindliches Kostüm sowie einige süße Backwaren. Indes überstrahlen ein überbordendes und blinkendes LED-Farbenmeer und überdimensionale, skurrile zeitgenössische Comic-Figuren bunt, geradezu überschwänglich die fast verschämte Präsenz des Halloween-Symbols. Schottische Historiker erkennen in den einäugigen Kreaturen entfernte Verwandte des »Fachan«, eines mystischen, Furcht einflößenden Fabelwesens, wie es sie in der Kulturgeschichte des Landes vermehrt gibt.


Zusätzliche Informationen
- Invest in Paisley
Fotocredits: Udo Haafke (die-fotos.de)