Home Schottland Kolumne Mittsommerball – Local Heroes in Pennan

Mittsommerball – Local Heroes in Pennan

von Wilfried Klöpping

Die Einladung ist eine Spontanidee unserer Freunde. Ob mein Mann und ich Lust hätten, in der kürzesten Nacht des Jahres beim „Pennan Midsummer Ball“ mitzufeiern? Natürlich haben wir Lust, nur liegt das Fischerdörfchen Pennan ziemlich abgelegen an der Banffshire Coast von Aberdeenshire in Nordostschottland. Wir werden dort übernachten müssen. Zum Glück gibt es im Dorf ein kleines Hotel und ein paar B&Bs. Aber unsere Freunde winken energisch ab. Wozu ein Zimmer mieten, meinen sie, wenn ihr Cottage in Pennan doch groß genug sei und das Gästebett quasi bereitstünde. Für Schotten ist Gastfreundschaft Ehrensache – Freunde nicht zu beherbergen, geht gar nicht. Dankbar nehmen wir das Angebot an.

Mit Übernachtungstasche, Abendgarderobe und Gastgeschenk im Kofferraum tasten wir uns einige Tage später mehr bremsend als rollend eine sehr enge, sehr steile und ausgesprochen kurvige Zufahrtsstraße hinunter nach Pennan. Jenseits der Serpentinen erstreckt sich die raue und naturbelassene Banffshire Coast. Wuchtige Klippen greifen weit hinaus ins Meer, Wellen brechen sich an schroffen Felsen, Gischtflocken treiben im Wind.

Umgeben von senkrecht aufragenden Kliffs schmiegt sich Pennan in eine kleine Bucht. Der Ort besteht aus einer einzelnen Reihe hell getünchter Cottages auf einem schmalen Streifen Land zwischen Klippen und Nordsee. Eine schmale Dorfstraße führt an der Uferbefestigung entlang und endet an einem winzigen Hafen, der direkt an die Felsen grenzt. Früher lebten hier vorwiegend Fischer. Heute gibt es noch einen Berufsfischer in Pennan, das sich zu einem Mix aus Freizeitdomizilen und ständigen Wohnsitzen entwickelt hat.

Während wir im Schritttempo an den weißen Cottages vorbeifahren, erhasche ich einen Blick auf die Ortsprominenz – eine rote Telefonzelle direkt an der Ufermauer. Wegen ihr finden immer wieder Besucher den Weg in das malerische Dorf, das 1982 während der Dreharbeiten für den Kinohit „Local Hero“ als Kulisse diente. In dem Film wird ein amerikanischer Manager von seinem Boss in ein schottisches Fischerdorf geschickt, um den Kauf von Land zu verhandeln. Dabei ist er auf das Münztelefon am Strand angewiesen, um seinen Vorgesetzten im urbanen Amerika auf dem Laufenden zu halten. Seither genießt das Telefonhäuschen Kultstatus und steht unter Denkmalschutz.

Wir parken vor dem Haus unserer Gastgeber, ein gemütliches Cottage mit dicken Steinwänden, niedrigen Deckenbalken und einem Wohnzimmerfenster mit Meerblick. In festlicher Stimmung und balltauglicher Aufmachung nehmen unsere Freunde uns in Empfang und versorgen uns mit einem Begrüßungsdrink. Man mag sich fragen, wo sich in einem Nest wie Pennan eine geeignete Räumlichkeit für einen Ball auftreiben lässt. Die Antwort findet sich am Ende der Dorfstraße zwischen Klippen und Flutlinie: Die kleine Pennan Village Hall wird heute Abend als Ballsaal dienen. In Schottland sind Village Halls soziale Dreh- und Angelpunkte der Ortsgemeinschaften. Sie bieten Raum für Familienfeste, Disco-Partys, Folk-Konzerte, Ausstellungen, Bazare, Kulturveranstaltungen, öffentliche Diskussionsabende – oder eben für einen Mittsommerball.

Im Dorf ist man auf die Village Hall zu Recht stolz. 2007 wurde sie durch Erdrutsche schwer beschädigt. Sintflutartige Regenfälle hatten das Erdreich auf den Klippen so aufgeweicht, dass Hunderte Tonnen Geröll und Morast auf das Dorf herabstürzten. Die Lawine prasselte auf Dächer, begrub Hinterhöfe, drang in Häuser und überzog die Dorfstraße knietief mit erdigem Schlick. Zur Sicherheit wurde ganz Pennan vorübergehend evakuiert. Die Beseitigung der Schäden kostete Zeit, Geld und Nerven. Auferstanden aus dem Schlamm ist das Local Hero-Dorf so schmuck wie eh und je. Auch die zerstörte Village Hall wurde wieder aufgebaut. Betrieben wird sie von ehrenamtlichen Dörflern in Partnerschaft mit der Kreisverwaltung. Das geht natürlich nicht ohne Geld. Deshalb ist der Pennan Midsummer Ball neben gesellschaftlichem Vergnügen vor allem Spendenaktion.

Nicht nur Bewohner Pennans finden sich zu diesem Ereignis ein; viele Gäste kommen von außerhalb. Dem Anlass entsprechend hat man sich in Schale geworfen: Die Damen möglichst glamourös, die Herren entweder im besten Anzug oder im Highland-Outfit samt Kilt, schwarzer Jacke und Fliege. Der Seewind zupft an manch kunstvoll arrangierter Frisur und verweht dezente Parfüms, während hohe Absätze die Holzstufen zum Festsaal hinaufklackern. Die Dorfhalle ist eine schlichte Konstruktion – außen wetterfestes Wellblech, innen weiße Holzverkleidung. Sprossenfenster gewähren einen Blick auf das Meer, das im späten Tageslicht grau-blau schimmert.

Die Village Hall ist für den Ball stilvoll herausgeputzt. Tischdekorationen und makellose Gedecke glänzen in stimmungsvoller Beleuchtung, Stühle tragen Tüllschärpen. Rund achtzig Gäste verteilen sich an den Tischen. Man begrüßt sich, plauscht und genießt zum Auftakt einen Schluck Champagner. Dann nimmt der Pennan Midsummer Ball seinen Lauf.

Ein schottischer Ball besteht zumeist aus Festmahl, Tombola und Tanz. Tombolalose zu kaufen gehört zum guten Ton. Schließlich dienen sie einem guten Zweck, in diesem Fall dem Erhalt der Village Hall. Noch vor dem Essen finden die pastellfarbenen Losstreifen reißenden Absatz. Das dreigängige Menü ist eine wahre Gaumenfreude und wird gekrönt von einem Raspberry Cranachan, einer typisch schottischen Kalorienbombe aus frischen Himbeeren, Schlagsahne und Honig.

Nach dem Dessert folgt eine kleine Dankesrede an die Damen, die dieses Event mit viel Herzblut und ihrer Hände Arbeit vorbereitet haben. Strahlend nehmen sie den wohlverdienten Applaus und gigantische Blumensträuße entgegen. Eine von ihnen übernimmt das Mikro und schreitet zur Ziehung der Tombolalose. Auf den Tischen werden Servietten, Gläser und Tischdeko zur Seite geschoben, um Platz für die Losstreifen zu machen.

Konzentrierte Spannung liegt in der Luft, als die Losnummern ausgerufen werden. Jeder Gewinn, egal wie bescheiden, wird begeistert bejubelt. Wer leer ausgeht, beweist Sportgeist und jubelt mit. Zum Schluss gibt es noch ein extra Schmankerl: die Versteigerung einer großformatigen Ansicht von Pennan in Seidenmalerei sowie eine „Queen Elizabeth II Diamond Jubilee Commemorative Bell“ aus Porzellan. Während sich die Gäste für das seidene Kunstwerk eifrig überbieten, laufen die Gebote für die royale Porzellanglocke  eher schleppend. Die Dame am Mikro greift sich beherzt das gute Stück und schwenkt es aufmunternd vor kaufmüdem Publikum: „Na los, Leute, schließlich weiß keiner, wie lange sie’s noch macht!“ Bereitwillig heben sich ein paar Hände und dann findet auch der königliche Kitsch einen Abnehmer.

Danach packen alle mit an und rücken die Tische beiseite, um Platz für das Tanzvergnügen zu schaffen. Dafür sorgt ein Geschwisterduo, das mit Hilfe einer Playback-Anlage tanzbare Evergreens der Siebziger Jahre zum Besten gibt. Die Tanzfläche füllt sich im Nu mit Partygästen, die in Ballgarderobe munter abrocken. Der Sound bringt die kleine Village Hall fast zum Bersten. Während die Sprossenfenster beschlagen, prosten wir uns stumm zu. Zur Verständigung kritzeln wir auf die Rückseiten der Tombola-Nieten. Ein paar der Songs locken auch uns auf die Tanzfläche. Dann brauchen unsere Lungen Frischluft und unsere Ohren eine Ruhepause.

Mit summenden Trommelfellen trete ich ins Freie. Kühle Salzluft umfängt mich. Wir setzen uns auf eine Bank an der Ufermauer. Vor uns glänzt quecksilbrig das Meer. Wie Schattenrisse ragen die Klippen in den noch hellen Abendhimmel. Weiße Sprenkel in den Felsnischen verraten, wo Möwen sich niedergelassen haben. Ihre schrillen Rufe überlagern Musik, Gelächter und Geplauder. Entlang der Dorfstraße mischt sich die lichte Dämmerung mit dem weichen Licht der Straßenlaternen und lässt das Weiß der Cottages leuchten. Auf der Ufermauer haben sich drei Tanzpaare zusammengefunden.

Zum gedämpften Discosound tanzen sie den Gay Gordons, einen traditionellen schottischen Kreistanz. Ein junger Partygast in Oberhemd und gelöster Krawatte schlendert an uns vorbei, raucht und checkt sein Smartphone. Scheinbar gedankenverloren pfeift er eine Melodie, die einen Moment lang über dem Plätschern der Wellen, den Möwenschreien und den Rockklängen schwebt, bevor der Wind sie davonträgt. Es ist die Titelmusik aus ‚Local Hero‘.

Fast unmerklich weicht die Dämmerung mitternächtlicher Dunkelheit. Ein kleines Feuerwerk beschließt den Pennan Midsummer Ball. Nach einem Gute-Nacht-Whisky finden wir unseren Weg ins Gästebett. Im Dunkeln taste ich nach meinem Handy, um nach der Uhrzeit zu sehen. „Kein Signal“, sagt die Leuchtanzeige. Wenn ich jetzt dringend telefonieren müsste, wäre ich auf die rote Telefonzelle am Strand angewiesen. Gut, dass es sie noch gibt.

Regina Erich
-Stonehaven

Zusätzliche Informationen

Fotocredits: Allan Sutherland / Udo Haafke

Das könnte Ihnen auch gefallen...