„Und zum Lunch musst Du ins Applecross Inn“, diesen Rat gibt mir der freundliche Manager des Old Inn Gairloch mit auf den Weg, nachdem ich eine geruhsame Nacht in dem netten kleinen Hotel an der schottischen Nordwestküste verbracht habe. Applecross, hübscher Name und den Tipps von Einheimischen sollte man immer Aufmerksamkeit schenken. Ich mache mich auf den Weg entlang Loch Maree. Die Vormittagssonne spiegelt sich so wunderbar auf der Wasseroberfläche des großen Sees, dass ich zwischendurch immer wieder einen Stopp einlege, um dieses wunderbare Naturschauspiel zu genießen. Ich genieße es allein, denn weit und breit bin ich die Einzige, die sich an diesem Vormittag etwas Zeit nimmt. Überhaupt, dieser Landstrich ist einsam, die Straßen in weiten Abschnitten einspurig mit Ausweichbuchten alle paar 100 Meter. Sie schlängeln sich durch die herrliche Landschaft und sind viel zu eng zum Rasen und zwischendurch kann man wirklich vergessen, dass man sich in Westeuropa befindet.
Auf der Strecke von Torridon nach Applecross begegnen mir hochgerechnet vier Autos und grob geschätzt 1000 Schafe. Die Wollträger stehen auch gerne mal auf der Straße und haben selbstverständlich immer Vorfahrt. Die Szenerie mit grünen Hügeln auf der einen Seite und rauer See auf der anderen ist ‚ganz großes Kino‘. Es ist das besondere Licht, beeinflusst durch Wolkenberge, Regen und Sonne, das die Stimmung immer wieder ändert. Man kann sich nicht satt sehen an diesen Bildern. Mit der Einsamkeit ist es aber in Applecross unerwarteter Weise plötzlich vorbei. Ich traue meinen Augen kaum. Der Parkplatz an der kleinen Hafenmole – voll! Ich kann einen letzen, nicht genehmigten Parkplatz ergattern. Das Applecross Inn – voll! Es scheint, als haben sich alle Menschen der schottischen Westküste an diesem Mittag genau hier versammelt. Die Locals, die Einheimischen, haben sich an der Bar versammelt, man erkennt sie an der entspannten Lässigkeit, die man annimmt, wenn man in seinem ‚Wohnzimmer‘ sitzt.
Menschen, für die das Applecross Inn kein Geheimtipp mehr ist, haben sich einen Tisch im gemütlichen Teil des Gastraumes reserviert. Hier spendet ein kleiner Kaminofen gemütliche Wärme, die Stühle und Bänke sind gepolstert, man könnte den ganzen Tag hier verbringen. Für den Rest der Besucher bleibt der Teil des Inns, der mit groben Holztischen und Hockern ein wenig Imbiss-Atmosphäre versprüht, aber deshalb nicht weniger gemütlich ist. Es ist so voll, dass ich keinen Platz finde und erst mal etwas im Weg herumstehe. Ein Blick auf die Teller, die gutgelaunte Kellnerinnen an mir vorbei tragen, bestärkt mich aber in meinem Plan, auf jeden Fall eines der leckeren Gerichte zu probieren, die auf den großen Wandtafeln angeboten werden. Eine Gruppe Motorradfahrer in Lederoutfit hat einen der Tische am Fenster ergattert und lädt mich ein, doch bei ihnen Platz zu nehmen. So ist das in Schottland, man bleibt nicht lang allein.
Die Truppe kommt aus Aberdeen an der Ostküste und schwärmt von den Schönheiten ihrer Heimat als gäbe es kein Morgen. Auch das ist typisch schottisch, man ist stolz auf Land und Traditionen, und die Jungs kann ich mir auch gut als wilde Highlander-Statisten in einem Hollywood-Film vorstellen. Bei anregender Unterhaltung mit netten Leuten, Applecross Bay Prawns mit Zitronenbutter und allerlei anderen Leckereien aus dem Meer vor der Tür verbringe ich einen unvergesslichen Lunch in Applecross und stelle wieder mal fest, ich gehöre auf immer zum Clan der Mac-Schottland-Süchtigen. Applecross liegt an der Westküste Schottlands auf der Applecross Peninsula, gegenüber der Isle of Skye. Kommt man von Norden ist die Strecke entlang Loch Maree sehr schön. In Kinlochewe geht es dann nach Westen in Richtung Torridon und Shieldaig und entlang der Küstenstraße bis Applecross. Von Süden kommend fährt man auf der A896 über den Bealach na Ba, den höchsten und spektakulärsten Bergpass in Schottland.
Gabi Herzog
-Schottlandexpertin bei Travelling Britain
Fotocredits: Applecross Inn