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Edinburgh International Book Festival

von Wilfried Klöpping

Im August kann Edinburgh ganz schön schrill und überlaufen sein. Dagegen hilft Literatur. Nein, keine Schmöker, die ich im Hotel still vor mich hinlese. Es geht um Literatur als Event, also auf einen Cappuccino mit Harry Potter und Inspector Rebus. Also begebe ich mich auf den Charlotte Square im Stadtteil New Town. Der von Rasen gesäumte Platz ist eine grüne Oase zwischen all den grauen georgianischen Stadthäusern. In den letzten drei Augustwochen steht hier alljährlich eine kleine, weiße Zeltstadt, die den kompletten Platz einnimmt. Es ist das Edinburgh International Book Festival, das wohl entspannteste Festival der Stadt.

Dort kaufe ich mir – wenn das Wetter gnädig ist − einen Cappuccino, lege mich auf einen Liegestuhl zu Füßen des Reiterstandbildes von Prince Albert und warte. Wie bitte? In der Tat: Dies ist im August der beste Platz, um den Granden der schottischen Literatur zu begegnen, ihren Lesungen zu lauschen oder mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Und da es sich um ein internationales Buchfestival handelt, sind hier Schriftsteller und Besucher aus der ganzen Welt versammelt. Meist sind es englischsprachige Autoren, aber auch deutschsprachige wurden schon gesichtet. Seit 1983 gibt es das Festival. Damals begann es mit gut 30 Autoren, heute finden sich bis zu 800 Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker aus 55 Ländern in Edinburgh ein. Rund 200.000 Menschen besuchen jährlich das Festival. Das passt gut zum Titel als UNESCO-Literaturstadt.

„Mensch, ist das nicht…?“, denke ich, als ich meinen Kaffee genieße, während meine Liegestuhlnachbarn ins Schmökern vertieft sind. „Oh Gott, bitte nicht anschauen oder gar anfassen“, flüstert meine deutsche Seele. Ich selbst habe in der Heimat Schriftsteller als Halbgötter erlebt, die von Security überwacht über die Frankfurter Buchmesse geschritten sind – und denen man gefälligst nur hochintelligente Fragen stellen sollte. Hier ist alles ein wenig anders. Das merke ich schon bei einer Lesung des wohl meistgelesenen schottischen Krimiautoren Ian Rankin, der geduldig seinem Publikum Rede und Antwort steht. Der Autor der Inspector Rebus-Romane erzählt nicht nur mit einem Augenzwinkern, dass er deshalb Krimiautor geworden sei, weil man damit als Schriftsteller am meisten Geld verdienen könne – was ihm wohl auch geglückt ist. Rankin berichtet auch vom Hype um seine Bücher. Es gebe sogar schon Rebus-Touren für Touristen durch die Stadt. Und der Besitzer eines Pubs, der Schauplatz der Romane sei, habe sich bereits wegen der vielen Schaulustigen beim Autoren beschwert. Fazit: Die lästigen Krimiliteratur-Fans brächten das gut gepflegte eintönige Pubbesitzer-Leben völlig durcheinander – wenn man vom Umsatzplus einmal absähe.

Und auch alle anderen schottischen Literatur-Ikonen, Stars und Politiker sind hier versammelt: J.K. Rowling, Irwine Welsh, Alexander McCall Smith, A.L. Kennedy, ja sogar Sean Connery ließ sich vor ein paar Jahren sehen. Hier diskutierte der damalige schottische First Minister Alex Salmond seine Vorstellungen zum Unabhängigkeit-Referendum, als viele Deutsche noch gar nicht wussten, dass Schottland überhaupt ein eigenes Parlament besitzt. “Queuing“, also Schlange stehen, ist hier eine wahre Kunstform. Vor den Lesungen bilden sich Schlangen geduldiger Leser. Nach den Lesungen, bilden sich Schlangen zum Signieren. Bekanntlich sind Bücher ein wasserempfindliches Kulturgut – und so trotzt das Festival dank überdachter Wege selbst tapfer den übelsten Regengüssen und Windböen. Es gibt sogar Stege, wenn sich der Platz mal wieder in einen wahren Sumpf verwandelt hat.

Das International Book Festival auf dem Charlotte Square steht jedem offen. Allein die Veranstaltungen kosten Eintritt. Von morgens bis in die Nacht kann ich hier Buchneuheiten entdecken und Menschen treffen. In einem Zelt, das als Buchgeschäft dient, locken die vorgestellten Werke, zum Teil sind sie sogar schon signiert. Und wenn nichts dabei ist, dann gibt es Kaffee oder Tee mit den obligatorischen Scones – dazu viel Clotted Cream und Marmelade. Für die jungen Leseratten existiert eine riesige Abteilung mit Kinderbüchern. Ganze Schulklassen kommen hierher, um Veranstaltungen zu besuchen.

Ein Muss ist der Besuch im „Spiegeltent“ – vor allem abends. Dieser “travelling ballroom“, also mobile Ballsaal, stammt aus den 1930er Jahren. Er gehört zu einer Handvoll noch existierenden Zelten dieser Art, die einst in Belgien und den Niederlanden gebaut wurden. Die bunt bemalte Konstruktion lockt in ein mit Spiegeln verzaubertes Wunderland aus Holz, Leinwand und Bleiglas. In dieser einmaligen Atmosphäre gibt es Lesungen, Live-Musik und Kabarettauftritte unter dem Titel “Jura unbound“. Ein Whiskyhersteller, dessen Malts natürlich an der Zelt-Bar vertreten sind, sponsert die Veranstaltung. Wer nicht genug von der tollen Atmosphäre haben kann, feiert im Anschluss an das Abschlussfeuerwerk des Edinburgh Festivals Ende August im Spiegeltent in die Nacht hinein –ganz nach dem Motto der Veranstalter: “… we’ll be going down in a blaze of glory!“, zu Deutsch: Wir werden in Ruhm und Ehre untergehen!

Michael Schmidt

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