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Stonehaven Open Air Pool

von Wilfried Klöpping

„Bringt Badesachen mit!“ Diese durchaus ernst gemeinte Empfehlung halten meine Besucher zumeist für einen Scherz. Immerhin wollen sie ihre Koffer für eine Reise nach Schottland packen und denken dabei eher an Wollpullis und Regenjacken als an Badehose und Bikini. Tatsächlich ist die Nordsee an der schottischen Ostküste selbst im Hochsommer für genussvolles Schwimmen einfach zu kalt, auch wenn die Strände von Moray und Aberdeenshire mit feinem Sand und tiefblauem Meer locken. In Stonehaven wurde bereits in den Dreißiger Jahren Abhilfe geschaffen und direkt am Strand ein Freibad der besonderen Art gebaut. Seit seiner Eröffnung im Jahre 1934 sorgt der Stonehaven Open Air Pool jeden Sommer für ungetrübte Badefreuden – bei 29° Wassertemperatur in einem großzügigen 50-Meter-Becken, das mit gereinigtem Meerwasser gefüllt ist.

Obwohl der Pool mit seinen fast 80 Jahren ein echter Oldtimer ist, erfreut er sich ungebrochener Beliebtheit. Ob Touristen auf der Durchreise, Familien auf Sonntagstour, fitnessbewusste Yuppies, Teenies oder Rentner – sie alle betreten den Pool seit jeher über eine geschwungene Treppe und durch die säulenflankierte, blaue Eingangstür. Drinnen werden die Eintrittskarten durch die Schiebefenster eines alten Kassenhäuschens verkauft. Darüber ist eine high-tec Leuchtanzeige angebracht, die über die Wassertemperatur informiert. Kunstvoll geschmiedete Drehkreuze gewähren Einlass, meerblaue Wegweiser führen zu den „Ladies“ bzw. „Gents“ und zum „Pool“. Der Außenbereich wird von einer hell getünchten Mauer umgeben, die vor dem kalten Nordseewind und indiskreten Blicken schützt. Eintauchen ins wohlig-warme Wasser, Sonnenbaden im Liegestuhl, am Büdchen ein Eis schlecken, im „Splash Café“ einen kleinen Snack genießen – ein Tag im Pool ist Urlaub vom Alltag.

Kaum ein Besucher ahnt etwas von der wechselvollen Geschichte des Pools oder den unzähligen Arbeitsstunden, die für seinen Erhalt nötig sind. Gebaut im Stil des Art Deco und technisch auf der Höhe seiner Zeit war das Bad damals eine willkommene Bereicherung für Stonehaven, wo neben einem regen Fischereigewerbe auch das Geschäft mit Sommerfrischlern aus allen Teilen Großbritanniens blühte. Ein halbes Jahrhundert lang war der Pool jährlicher Anziehungspunkt für Tausende von Erholungssuchenden. In den Achtziger Jahren begannen die Besucherzahlen jedoch zurückzugehen. Schließlich wurde erwogen, das Bad zu schließen. Stonehaven ohne seinen Open Air Pool? Undenkbar! Als Reaktion auf den drohenden Verlust ihres geliebten Freibads fanden sich engagierte Bürger zusammen und gründeten die „Friends of the Stonehaven Open Air Pool“. Sie sicherten nicht nur den Erhalt dieser einmaligen Anlage, sondern betreiben den Pool nun in Partnerschaft mit Aberdeenshire Council. Ein Patchwork aus öffentlichen Subventionen, Einnahmen und Spenden bestimmt die finanziellen Geschicke dieses durchweg ehrenamtlichen Unternehmens.

Ob Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Spendenaktionen oder mühevolle Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten, die ‚Freunde des Freibads‘ sind mit Enthusiasmus bei der Sache und opfern dafür viele Stunden. Ein wetterfester Trupp von „workers“ hat der klimabedingten Erosion des Gebäudes den Kampf angesagt. Besonders während des Winters greifen Kälte, Feuchtigkeit und Salzluft die Bausubstanz an. Außenanstriche bleichen, Metall korrodiert, Putz und Zement bröckeln. Dave und Jeff, die Bauleiter der Friends, organisieren den Einsatz der Workers, die in Overall und Wollmützen den Elementen trotzen und den Pool alljährlich auf Hochglanz bringen. Putzen, malen, ausbessern – kein bauliches Detail bleibt von den prüfenden Blicken der Friends verschont. Jeder Schmutzfleck und jede Bruchstelle wird aufgespürt, jeder Schaden liebevoll beseitigt. Innen- und Außenwände, Böden und Decken, Türen und Rahmen erhalten einen frischen Anstrich.

Brilliantweiß, Magnolienbeige, Mohnrot, Saphirgrün, Sonnengelb – die Farbwahl orientiert sich am Original. Selbst vor dem gewaltigen, seinerzeit in Beton gegossenen Becken schrecken die Friends nicht zurück und verpassen ihm regelmäßig eine neue Schutzschicht – in Trafalgarblau. Die Heiz- und Filteranlage wird von einer Spezialistengruppe gehegt und gepflegt. Obwohl der „boiler room“ mit seinen bauchigen Kesseln und verschlungenen Rohrleitungen eher wie  ein ingenieurtechnisches Museumsstück anmutet, entspricht die Wärme- und Reinigungstechnik modernem Standard.

Jede helfende Hand wird dankbar angenommen – zumal die meisten helfenden Hände bereits ein ganzes Arbeitsleben hinter sich haben. Viele der Damen und Herren, die mit schwerem Gerät hantieren oder auf Knien die schwarzen Bahnmarkierungen auf dem Beckengrund nachziehen, gehören zur Altersgruppe 60 plus. Einer von ihnen hat die erste Eröffnung des Pools als Kleinkind miterlebt. Zement mischen, bröckelnde Mauern neu verputzen, Betonplatten frisch verfugen, Leitungen verlegen – man würde den älteren Herrschaften diese Knochenarbeiten am liebsten abnehmen. Die ‚älteren Herrschaften‘ hingegen ignorieren Rheuma und Arthrose und bewältigen mehrmals pro Woche ein Arbeitspensum, auf das selbst Leute unter 40 stolz sein könnten.

Genau zur Halbzeit erschallt der Ruf „Tea!“, besonders bei kaltem und nassem Wetter ein höchst willkommenes Ritual. Margaret, Chefin der Teeküche, sorgt für Heißgetränke und Kekse. Im Werkraum der Friends trifft man sich, wärmt sich die Hände an Kaffeebechern und tauscht sich über den Stand der Dinge aus. Die Stimmung ist heiter-gelassen, von Hektik keine Spur – auch wenn die Friends jedes Jahr unter dem Druck stehen, die Komplettrenovierung vor Saisonbeginn abgeschlossen zu haben. Sie lieben ihren Pool und ihre Arbeit. Gründungsmitglied Rosalind fasst zusammen, was sie eint, ob nun pensionierte Lehrerin, Handwerker, Hausfrau, Verkäuferin oder Tierarzt in Ruhestand:  „Das macht doch einen Riesenspaß!“.

Lohn der Mühe ist die Saisoneröffnung, die aus dem Eventkalender Stonehavens nicht wegzudenken ist. Ein Platzkonzert der örtlichen Pipeband leitet die kleine Zeremonie ein. Ein Mitglied der Friends steigt in ein Delfinkostüm und unterhält als „splasher“ eine Schar kribbelig-erwartungsfroher Kinder. Nach einer kurzen Ansprache des Vorsitzenden der Friends kappt er das Band vor der blauen Eingangstür – Startsignal für die KInder, in die Umkleideräume zu stürmen. Wer sich am schnellsten umziehen und in die Fluten stürzen kann, dem winkt ein kleiner Preis. Die örtliche Presse darf bei diesem Ereignis ebenso wenig fehlen wie Lokalpolitiker und Vertreter der Kreisverwaltung, die sich gerne zu einer Gratisrunde im frisch gestrichenen Schwimmbecken einladen lassen. Keine Frage, dass die Eröffnung 2014 am 80. Geburtstag des Pools besonders festlich ausfallen wird.

Mit Hilfe seiner Freunde hat der Pool überlebt und beweist jedes Jahr wieder, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Das finden auch meine Gäste, wenn sie ihre Skepsis überwunden haben und sich genussvoll in das warme Wasser sinken lassen. Kaltes und verregnetes Schottland? Im Stonehaven Open Air Pool spürt man nichts davon.

Regina Erich
-Stonehaven

Zusätzliche Informationen

Fotocredits: Rob Powell / Evening Express / Friends of the Pool

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