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Silvester – Hogmanay in Stonehaven

von Wilfried Klöpping

Stonehaven ist ein beschauliches Küstenstädtchen etwa 20km südlich von Aberdeen. Sein schmuckes Ortszentrum, der malerische Hafen, der historische Open Air Pool und die wild-romantische Ruine von Dunnottar Castle machen es zu einem beliebten Ziel für Schottlandurlauber. Besucher schätzen das Kleinstadtflair des Örtchens mit seinen kleinen Läden und Coffee Shops – ein Stückchen schottischer Alltag ohne augenfälligen Touristenrummel. Einmal im Jahr allerdings, in der Silvesternacht, strömen Besucher in hellen Scharen in die Old Town am Hafen, um mitzuerleben, wie man in Stonehaven das neue Jahr begrüßt.

Punkt zwölf, wenn der letzte Glockenschlag verhallt ist, setzt sich auf der alten High Street eine ungewöhnliche Parade in Bewegung, die so genannte „Fireball Ceremony“. Was es mit dieser ‚Feuerballzeremonie‘ auf sich, kann am besten jemand erzählen, der sein Leben lang hier gewohnt hat und seit Jahren in der Stonehaven Fireball Association aktiv ist: „An der Fireball Ceremony nehmen hauptsächlich Einheimische teil. Das Alter ist dabei unwichtig. Die Teilnehmer schwingen brennende Maschendrahtkörbe in kreisenden Bewegungen um sich herum. Jeder Korb ist mit brennbarem Material gefüllt (jeder Feuerballschwinger hat sein eigenes Rezept) und hängt an einem etwa ein Meter langen Draht mit Haltegriff. Dadurch haben die Schwinger genügend Abstand von den Flammen – die Zuschauer müssen sich allerdings in Acht nehmen! Die Parade startet um Mitternacht. Sie dauert etwa 25 Minuten und lockt Tausende von Besuchern an. Bei der Fireball Ceremony sollen die letzten bösen Geister des alten Jahres verbrannt werden, damit das neue Jahr frisch und unbelastet beginnen kann. Soweit es sich belegen lässt, gibt es die Fireball Ceremony seit etwa 100 bis 150 Jahren, aber sie könnte auch weitaus älter sein….

Falls Sie die Fireball Ceremony einmal besuchen sollten, hoffen wir, dass Sie viel Spaß dabei haben. Wir (die Feuerballschwinger) haben ihn ganz sicher! Es ist immer ein ganz besonderer Moment, wenn wir nach dem Glockenschlag zum ersten Mal die High Street hinunter gehen. Dabei kommt man ganz von selbst in Hochstimmung! (Alkoholische Getränke sind vor und während der Parade tabu – eine eiserne Regel, an die wir uns halten!) Zwar sind wir wohl kaum von bösen Geistern umgeben (das nehmen wir jedenfalls an!), aber wir spüren deutlich die Verbundenheit mit unserer Geschichte, wenn wir an jedem Hogmanay den Weg nachvollziehen, den andere vor uns gegangen sind.“ (Zitat Martin Sim, 2013; Übersetzung d.d. Autorin)

Der natürliche Feind einer jeden Feuerzeremonie ist Regen, und davon gibt es in Schottland ja bekanntlich genug. Verständlich, dass man sich angesichts der Wassermassen Sorgen macht, die an diesem Nachmittag des 31. Dezember vom Himmel stürzen. Auch anderswo in Stonehaven ist man nervös. Das Feuerball-Event hat vor einiger Zeit ebenbürtige Gesellschaft bekommen. Die „Open Air In The Square“-Veranstaltung auf dem Marktplatz hat sich in den letzten zwei Jahren von einem mitternächtlichen Teenagertreff zu einer Freiluftparty in großem Stil gemausert. Im letzten Jahr sorgten die Red Hot Chilli Pipers für Feierstimmung. In diesem Jahr werden die Simple Minds, jene  Rocklegenden aus Glasgow, auftreten – parallel zur Feuerball-Parade.

Nicht auszudenken, wenn das Ereignis im wahrsten Sinne des Wortes baden gehen sollte. Zuviel ehrenamtliche Arbeit und Herzblut sind in die Planung und Verwirklichung geflossen. Vor Kurzem hat mir Michelle Ward, eine der Initiatoren des Konzerts, von den Höhen und Tiefen der Vorbereitungen erzählt. Es sei eine wunderbare Gelegenheit gewesen, die verschiedenen Ortsgruppen zusammenzubringen, sagt sie. „Die Zustimmung im Ort war einfach umwerfend! Alle haben an einem Strang gezogen.“ Wie denn der Ticketverkauf gelaufen sei, möchte ich wissen. „Das ging rasend schnell. Bis jetzt haben wir über 5000 Tickets an den Mann gebracht. Es gab auch eine starke Nachfrage aus dem Ausland, aus Deutschland und sogar aus den USA.“ Die Lokalpresse hatte verlauten lassen, dass die Polizei Sicherheitsbedenken wegen des Konzerts angemeldet hatte. Neugierig frage ich nach: „Hat es damit Probleme gegeben?“

Michelle zieht bei der Erinnerung daran die Stirn ein wenig kraus. „In erster Linie machte die Polizei sich Sorgen wegen der gleichzeitigen Fireball Ceremony und wie die Menschenmenge sich möglicherweise zwischen den beiden Veranstaltungen bewegen würde. Aber wir haben zusammen mit dem Eventmanagement hart daran gearbeitet, alle Auflagen zu erfüllen, und schließlich haben wir grünes Licht bekommen.“ „Ich könnte mir vorstellen, dass die Sache zeitweise am seidenen Faden hing. Wie haben die Simple Minds sich denn dazu verhalten?“ Michelle strahlt. „Die waren einfach super, haben uns an keiner Stelle Druck gemacht, und sogar im Fernsehen für das Konzert geworben!“

Wie wirksam diese Werbung war, ist nicht zu übersehen, als mein Mann und ich uns am späten Silvesterabend auf den Weg zum Ort des Geschehens machen. Stonehaven ist quasi zugeparkt. Besucherkarawanen ziehen teils zum Hafen, teils zum Marktplatz. Immerhin ist es trocken. Die sprichwörtliche Launenhaftigkeit des schottischen Wetters hat dafür gesorgt, dass der Regen sich termingerecht verzogen hat. Die Feuerbälle haben wir schon zwei Mal gesehen, darum zieht es uns zu den Rockstars. Mein Mann und Lieblingsschotte hat sich mit einer Halbliterflasche Whisky bewaffnet. Hierzulande stößt man traditionell mit einem „dram“ an, am liebsten mit Freunden und Familie.

Zu spät fällt uns ein, dass eigene Getränke jenseits der Ticketkontrolle verboten sind. Kurzentschlossen verstecken wir die Pulle hinter einer dunklen Mauerecke im Vorgarten von Ken, den wir durch diverse Ortsaktivitäten kennen. Der Marktplatz ist gepackt voll. Am entgegengesetzten Ende sind eine riesige Bühne und ein Großbildschirm aufgebaut. Noch ist die Bühne leer und die Menge wird mit Rockmusik aus der Konserve versorgt.

Mein Mann, nun ganz whiskylos, sieht sich nach einer Getränkequelle um. Wir entdecken eine sehr, sehr lange Schlange, die sich vor einem Barzelt aufgebaut hat. Ein Glücklicher trägt gerade zwei volle Becher Bier an uns vorbei und wird prompt von meinem Mann gestoppt. Wie lange er angestanden habe, will mein Liebster wissen. Die Antwort ist ernüchternd: „Eine Stunde, kein Scherz!“ Applaus brandet auf, weißes Licht gleißt aus den Bühnenscheinwerfern. Der DJ tritt vor das Mikro und kündigt mit ausladender Geste den Top Act der Show an. Dann überlässt er den Simple Minds das Feld. Nach ein paar Begrüßungsworten von Frontmann Jim Kerr legen sie los. Bässe wummern und lassen das Publikum vom ersten Stück an im Rhythmus mithüpfen oder -wippen. Mein Blick wandert von der Bühne zum Bildschirm und dann zu den umliegenden Häusern. Fast überall in den oberen Stockwerken sind die Lichter an und die Bewohner haben es sich am Fenster gemütlich gemacht. Wer dort wohnt, hat heute einen Logenplatz.

Die Band fährt die Lautstärke etwas zurück. Jim Kerr tritt an den Bühnenrand: „Toll, heute hier zu sein!“, ruft er und erntet Jubel. „In Edinburgh wird gerade eingepackt!“ Noch mehr Jubel. „In Glasgow schlafen sie schon längst!“ Begeistertes Gejohle. „Heute Nacht ist Stonehaven Rockmusik-Hauptstadt!!“ Tumultartiger Applaus. Kurz vor Mitternacht ziehen die Stars sich von der Bühne zurück. Ein junger Dudelsackspieler mit einsatzbereitem Instrument stellt sich vor das Mikro. Die Menge wird still. Der DJ zählt den Countdown. Um Punkt zwölf erschallt „Auld Lang Syne“. Wer kann, singt mit. Kurz darauf begibt die Band sich wieder an ihre Plätze. Nach einem „Happy New Year!“ von Jim Kerr setzen die Simple Minds zu ihrem nächsten Hit an.

Auf den Hängen über dem Hafen wird ein Feuerwerk gezündet. Funkenwolken zerstieben am sternenklaren Himmel und stehlen den Bühnenscheinwerfern die Show. Die Stimmung auf dem Platz könnte nicht besser sein. Dank des kompetenten Eventmanagements läuft alles reibungslos. Durch Feuerwerksgewitter und elektrifizierte Rockklänge dringt eine Stimme an mein Ohr. „Happy New Year!“ Michelle steht vor uns, strahlt mit der Lightshow um die Wette. Wir gratulieren ihr zu ihrem Erfolg.

Es geht auf halb eins zu und die Simple Minds spielen ihr letztes Stück. Viel reden kann man bei der Lautstärke nicht, also winken wir Michelle zum Abschied zu und machen uns auf den Weg zu unserer Whiskyflasche. Unterwegs kommt uns unser Nachbar Garry, aktiver Feuerballschwinger, mit wehendem Kilt entgegen. Die Fireball-Parade sei wieder mal toll gewesen, schwärmt er. „Bin völlig kaputt“, setzt er hinzu und reibt sich die rechte Schulter. Wir erzählen vom Konzert. Garry grinst vergnügt. „Stonehaven ist klasse, da geht nix drüber!“ Wir stimmen vorbehaltlos zu. Und dann laufen wir doch tatsächlich Ken über den Weg. Wir tauschen Neujahrswünsche aus und erklären die Sache mit der Whiskyflasche. Er lacht in sich hinein. „Mein früherer Nachbar hat seinen Schnaps auch immer irgendwo in meinem Garten gebunkert.“ Zwinkernd fügt er hinzu: „Aber seine Frau hat ihn trotzdem gefunden.“

Unser Whisky ruht unversehrt in seinem Depot. Wir nehmen ihn mit zu einer Hausparty, um ihn dort mit anderen zu teilen. Noch Tage später schwelgt Stonehaven in seinem Hogmanay-Erfolg, und es wird bereits darüber spekuliert, welche namhafte Band wohl beim nächsten Mal das beschauliche Küstenstädtchen beehren wird.

Regina Erich
-Stonehaven

Zusätzliche Informationen

Fotocredits: Sebastian Canaves / Stonehaven Fireball Association / Brian Doyle / TheCourier.co.uk

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