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Seeungeheuer in Schottland

von Udo Haafke

Das Foto vom sagenumwobenen Seeungeheuer in der Tiefe des Loch Ness machte in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Runde durch die Gazetten der Welt. Ein Hype brach aus. Alle wollten das drachenähnliche Wesen zu Gesicht bekommen, der touristische Boom in Richtung schottischer Highlands begann. Hotels und Unterkünfte wurden gebaut, Gastronomie etabliert, boten Möglichkeiten zur gezielten Beobachtung des Fabelwesens. Eine ganze Infrastruktur um den zweitgrößten See des Landes entstand rund um den Mythos Nessie, wie man das unbekannte Wesen in aller Zärtlichkeit benannte. Schließlich auch ein Besucherzentrum mit plüschigen Devotionalien, Büchern und Postkarten und zahllosen kultigen Souvenirs, die das Bild Schottlands nachhaltig prägten.

Und weil ein Zentrum für Besucher offensichtlich nicht genug war, gab es schon bald ein zweites seiner Art. Fortan lagen sich die Besitzer der beiden konkurrierenden Unternehmen in den Haaren, stritten sich vor Gericht um Namensgebung, Wahrheitsgehalt der ausgestellten Exponate oder Qualität des Angebots für die Besucher. Nessie störte das alles nicht. Sie ließ sich nicht verlässlich blicken, obwohl sich waghalsige Unternehmungen der Fahndung nach ihr widmeten. Tauchgänge, radiologische Untersuchungen, Abtasten des Seegrundes mittels Sonar und immer wieder der geschärfte Blick über die Oberfläche des Lochs, in dem sich die Wellen manchmal höchst verdächtig bewegen. Forscher und Wissenschaftler, manche davon durchaus seriös, Touristen aus aller Welt kamen und kommen in Scharen, um vielleicht doch wieder einmal das vermutlich schuppige Monster zu Gesicht zu bekommen.

Nun wabern erneut negative Schwingungen über ‚Nessies Badewanne‘, in die sogar das Drumnadrochit Chamber of Commerce verwickelt ist. Hohe Politik also. Dieses Mal fühlen sich nämlich die Betreiber der Schiffsrundfahrten übers Loch Ness schlecht behandelt. Sie mockieren sich über die neu gestalteten Inhalte des Loch Ness Centres, die ihrer Meinung nach das Phänomen des sagenhaften Monsters entschieden zu nüchtern angehen und den Mythos viel zu sehr in Frage stellen. So sehr, dass über kurz oder lang die Gäste wohl ausbleiben würden und niemand mehr nach Nessie Ausschau hält. Insbesondere Adrian Shine, rauschebärtiges Enfant terrible des Centres und schon legendärer Nessie-Kundler ginge das Thema viel zu wissenschaftlich an und zerstöre damit die Legende – und den Tourismus in der Region.

Adrian Shine seinerseits wittert allerdings einen erneuten Affront des direkten Mitbewerbers in Sachen Vermarktung des Nessie-Kultes, denn just von dort fahren die Ausflugsschiffe los. Der bekannte Zwist eskaliert erneut: einer beschuldigt den anderen, Schuld am eigenen wirtschaftlichen Verlust zu sein. Mag sein, dass jeder Schotte wenigstens ein bisschen an Nessie glaubt; mag sein, dass jeder Loch Ness Besucher seinen Blick hoffnungsvoll über das Loch schweifen lässt; mag sein, dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung an diesem, mithin liebgewonnenen Glauben ein wenig kratzt und rüttelt; mag auch sein, dass die Besucherzahlen rückläufig sind. Doch dies gilt ja nicht allein für Loch Ness und trifft somit jeden, natürlich auch am Loch Ness. Letztlich sitzen doch alle im gleichen Boot, ganz egal, wo es gerade kreuzt. Und Nessie-Mythos hin oder her, stimmt die Kasse nicht mehr, wird ein Ausweg gesucht. Der könnte auch darin bestehen, gezielt Aufsehen und damit vielleicht eingeschlummertes Interesse neu zu erregen.

Fotocredits: Udo Haafke

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