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Julie Fowlis – das Interview

von Udo Haafke

Aus Anlass der 750. Geburtstages der Stadt Lüdenscheid gab es Anfang Juni 2018 wieder eine FolkPack-Nacht im dortigen Kulturhaus. Die schottische Folksängerin Julie Fowlis war dabei mit ihrer Band zu Gast, zu ihrem einzigen Auftritt in Deutschland in diesem Jahr. Udo Haafke, Fotograf und Journalist und Mitglied im Team des SchottlandBeraters, nahm die Gelegenheit wahr und führte vor dem Konzert ein Interview mit der wohl derzeit populärsten Vertreterin der aktuellen schottischen Folkszene.

UH: Julie, vielen Dank, dass Du Dir im Vorfeld des heutigen Konzertes Zeit nimmst für ein kurzes Gespräch. Du erinnerst Dich vielleicht noch an unser Online-Interview vor nunmehr mehr als sieben Jahren. Was waren für Dich die wichtigsten Dinge, die in dieser Zeit passiert sind?
JF: Ja, ich erinnere mich an 2011, und wenn ich über die vergangenen Jahre nachdenke, so war unbedingt die Geburt meiner zweiten Tochter ein absolut herausragendes Ereignis. Aus musikalischer Sicht habe ich mit Gach Sgeul 2014 und Alterum 2018 zwei Alben herausgebracht, die eine positive Entwicklung unterstreichen und für mich einen großen Fortschritt brachten. Gerade 2014 war voller großartiger Ereignisse wie der Eröffnungszeremonie der Commonwealth Games in Glasgow und zahlreicher toller Konzerte. Und in dem Moment als Gach Sgeul abgeschlossen war, wusste ich, das danach folgende Album wird anders, ganz anders. Keine Sammlung gälischer Lieder mehr, etwas anderes eben.

UH: Warum etwas anderes, wo die bisherigen Alben doch alle gut und erfolgreich waren?
JF: Nun, weißt Du, ich bin Perfektionist. Und ich hatte das Gefühl, Gach Sgeul war nahe dran an 100 Prozent. Die Alben zuvor waren gut, aber hatten hier und da ihre Mängel, das konnte ich hier nicht mehr erkennen. Damit stand fest: es gibt etwas Neues, auf Gälisch, aber eben auch Englisch, was ich sehr gerne singe und wonach ich auch immer wieder gefragt worden bin. Und auf Alterum nun sogar Galizisch. Doch deshalb werde ich meine gälischen Wurzeln bestimmt nicht aufgeben. Es gibt so viele junge – und sehr gute – Musiker und Bands in Schottland, die sich nicht mehr verpflichtet fühlen, Folkmusik auf die gälische Sprache zu reduzieren, sich der ungeschriebenen Tradition zu verhaften und stattdessen eher eine gefällige Mischung präsentieren. Es macht Spaß, das zu beobachten und selbst ein Teil davon zu sein.

UH: Hat das Gälische sich nun wieder in der Gesellschaft etabliert?
JF: Was die Musik angeht, bestimmt. Im Alltag ist es immer noch in einer sehr problematischen Verfassung, besser als 2011, aber noch lange nicht dort, wo es sein sollte oder könnte. Aber es gibt Erfolge, wie seit gut zehn Jahren den Fernsehkanal BBC Alba und die Tendenz, dass zunehmend gälische Schulen eröffnen.

UH: Welche Bühne, welcher Konzertort hat bei Dir den stärksten Eindruck hinterlassen?
JF: Nun, die Konzerte, die nachhaltiger in Erinnerung bleiben, sind nicht notwendigerweise jene an spektakulären Veranstaltungsorten. So habe ich in kleinen Hallen in den USA gespielt, wo das Publikum einfach total begeisterungsfähig war. Oder aber, und das hat mich sehr bewegt, auf einem OpenAir Konzert zusammen mit Runrig in Dänemark vor 10.000 Leuten. Nicht wegen der Größe des Publikums, sondern schlicht, weil es mich tief berührte, wie diese 10.000 aus tiefster Überzeugung Gälisch sangen! 10.000 Dänen, das war einfach unglaublich. Ich stand mit Tränen in den Augen am Bühnenrand und war überwältigt. Und dann sind es die Begegnungen am Rande, die Menschen, die nach einem Auftritt kommen und etwas erzählen, ihre Begeisterung teilen möchten.

UH: Wenn Du singst sind Deine Augen fast immer geschlossen. Was siehst Du dann? Was geht Dir durch den Kopf?
JF: Oh ja, das ist ein Problem. Ich arbeite dran! Meistens sehe ich gar nichts, konzentriere mich auf Texte und Melodie, versuche auch nichts zu sehen, aber manchmal bei bestimmten Liedern lässt es sich gar nicht vermeiden, dass die darin erwähnten Plätze und Gegebenheiten vor meinem geistigen Auge auftauchen. Die Strände, die Dörfer, die Ruinen, als würde ein Film ablaufen.

UH: Wenn ich durch Schottland fahre und Deine Musik höre, habe ich immer das Gefühl, dass die Musik geradezu perfekt in die Landschaft passt. Wie kann man dieses Phänomen erklären?
JF: Nun, die Lieder sind absolut ein Teil der Landschaft. Sie erzählen uns Geschichten, mal traurig, mal politisch, erzählen von Krieg, von Liebe und Sehnsucht, und oft auch von sehr lustigen Dingen. Sie erzählen von Menschen und den Orten, an denen sie leben, sind also wirklich tief verwurzelt und das kann man einfach hören. Die Lieder stellen zudem eine direkt Verbindung her in die Vergangenheit. Und wenn man eine Sprache verliert, geht auch diese Verbindung verloren. Orte, Berge, Flüsse, Täler, sogar die Namen der Menschen stammen oft aus dem Gälischen oder zum Teil aus der Sprache der Wikinger und bilden diese Wurzeln. Damit ist die Landschaft fester Bestandteil der Tradition und das hört man einfach.

UH: Du hast einmal St. Kilda, diesen historisch unglücklichen Ort, besucht. Wie war das?
JF: Das war eine sehr spezielle Erfahrung und ich kann behaupten, dass das beinahe mein Leben komplett verändert hat. Ich kann nicht sagen wie, aber es hat es getan. So dramatisch, so beeindruckend, magisch, mysteriös, mit einer unendlich traurigen Vergangenheit. Zuvor hatte ich den Archipel nur von den Äußeren Hebriden, von meiner Heimat aus sehen können. Und nun tauchten die Inseln vor unserer Yacht auf, schemenhaft erkennbar, es war Mitte Juli und Nebel und Regen hüllten alles ein, und wir mussten an Bord des Schiffes bleiben. Am nächsten Morgen dann war es wie ein Erwachen in einer anderen Welt. Die See war ruhig, die Sonne schien. Wir gingen an Land und zum ersten Mal in meinem Leben schaute ich aus westlicher Richtung auf meine Heimat und stellte plötzlich fest, dass diese eigentlich ganz nah war. Bedrückend und berührend dann die Erkundung des Dorfes. Die Häuser sind alle noch da, und man hat das Gefühl, obwohl man niemanden sieht, dass die Menschen auch nach nun fast 90 Jahren immer noch hier sind, dass man ihren Atem spürt. Sehr, sehr bewegend.

UH: Julie, herzlichen Dank für das Gespräch.

Zusätzliche Informationen

Fotocredits: Udo Haafke

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