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Die Insel Fair Isle

von Udo Haafke

In Anne Sinclairs Küche klappern die Stricknadeln. Zehn Frauen von Fair Isle haben sich nach ihrem Tagwerk zur gemeinsamen Handarbeit getroffen. Sie stricken die typischen bunten Mützen im traditionellen Muster, um für ein großes Ereignis im Sommer gut gerüstet zu sein. Eine internationale Windjammerparade aus mehr als 40 Großseglern macht auf ihrer Reise von Irland über Schottland nach Norwegen in den Gewässern um Shetland Station und hat auch einen Abstecher auf die entlegenste bewohnte Insel im Vereinigten Königreich in der Planung. Jeder maritime Besucher erhält dann eine dieser kleidsamen wie wärmenden Kopfbedeckungen als Souvenir.

„Damit lebt eine alte Tradition wieder auf, denn in früheren Zeiten war Fair Isle ein wichtiger Hafen für Handelsschiffe, und die Menschen auf der Insel konnten Pullover, Mützen und Schals an die Besatzungen verkaufen oder gegen notwendige Waren eintauschen,“ erzählt Anne und wendet sich erneut ihrer Arbeit zu. Eine der Damen schwingt nämlich zum ersten Mal die Stricknadeln, und sie bedarf daher besonderen Augenmerks. Und das gefällige Fair Isle Muster, dessen Grundstruktur aus recht kleinen Kreuzen und Kreisen besteht, ist nicht ganz so einfach zu erlernen. Das weiß Anne Sinclair aus eigener Erfahrung. Ihre Mutter, die letzte der traditionsreichen Zunft der Strickerinnen, die auch heute noch aktiv ist, brachte ihr es bei, als sie noch ein kleines Kind war. Die ersten Pullover hatten noch die natürlichen Farben der Schafwolle in beige, hell- und dunkelgrau. Erst später ging es bunter zu. Viele Farben und das engmaschige Muster bewirken indes in den Augen eines Ungeübten ein gepflegtes Garn-Chaos an der Stricknadel. Bei der emsigen abendlichen Damenrunde ist gut ein Siebtel der kompletten menschlichen Inselpopulation versammelt, ansonsten bevölkern Schafe, Kaninchen und eine schier unglaubliche Menge an Seevögeln das von schroffen Felsen gesäumte Fair Isle, das in Nord-Süd-Ausdehnung gerade einmal fünf Kilometer, von Ost nach West nur drei Kilometer misst. Die Familie Sinclair gehört zu den wenigen, die schon seit Generationen hier leben. Viele der historischen Fotoaufnahmen im kleinen Dorfmuseum, das sich in erster Linie mit der Geschichte des originären Strickens beschäftigt, welches wiederum so eng mit der Inselgeschichte verbunden ist, zeigen Annes nahe Verwandtschaft. Die anderen Frauen der geselligen Handarbeitsgemeinschaft stammen ursprünglich aus ganz anderen Regionen des Weltenrunds. Sie hat es zu irgendeinem Zeitpunkt und aus höchst unterschiedlichen Beweggründen in die Abgeschiedenheit des Nordatlantiks verschlagen. „Denn auf Fair Isle zu leben ist eine sehr bewusste Entscheidung“, erklärt Anne. „Es bedeutet Verzicht und Freiheit gleichermaßen.“ Privatleben und kommunale Gemeinschaft verschmelzen hier fast nahtlos in eine feste Einheit. Jeder, ohne Ausnahme, hat seine festgelegten Aufgaben. Werden diese nicht erfüllt, wäre der Fortbestand des Lebens auf Fair Isle in Gefahr. „Die Leute von den Kreuzfahrtschiffen, die zum Tagesausflug zu uns kommen, sagen uns oft, dass sie ein wenig Abwechslung in unseren einsamen Alltag bringen würden. Sie denken, wir würden hier herumsitzen und Schafe zählen. Und das ist ganz bestimmt nicht so: jeder hat hier viele Aufgaben und sicher keine Langeweile.“ So betreibt die umtriebige Amerikanerin Liz in ihrem Wohnhaus gemeinsam mit ihrem Mann eines der wenigen Gasthäuser Fair Isles mit zwei Zimmern und Vollpension. Das Haus, the Auld Haa mit den charakteristischen Treppengiebeln, ist eines der ältesten der Insel und wurde um 1700 für den Inselgrafen errichtet. Es stand Gästen schon immer offen und so nächtigte Sir Walter Scott 1814 hier für seine Studien zur Inselgeschichte. Im Auld Haa besteht die Möglichkeit Golfschläger zu leihen. Es stimmt also, dass es wohl nur wenige Regionen in Schottland gibt, an denen nicht an das gepflegte Golfspiel gedacht wird.

Der Lighthouse Keeper’s Golf Course, der zwischen dem kleinen Südhafen und dem pittoresken Southlight Leuchtturm liegt, hat zwar nur eine 6-Loch-Konfiguration, stellt den Spieler aber vor schwierigste Aufgaben bedingt durch steten Wind, Küstennähe und hohes Verlustrisiko hinsichtlich des Spielgerätes. Liz bemüht sich neben anderen Aufgaben um die mediale Darstellung Fair Isles und ist, wann immer es sinnvoll erscheint, mit ihrer Videokamera vor Ort. Folgerichtig stehen ihre Scheinwerfer nun auch in der Sinclairschen Küche und sind auf Hände, Stricknadeln, konzentrierte Gesichter und bunte Wollknäuels gerichtet. Die Unterhaltung des Kränzchens bleibt ob dieser besonderen Aufmerksamkeit aber komplett unbeeindruckt. Man schwatzt weiter über dieses und jenes, über den durchaus abwechslungsreichen Alltag einer einsamen Insel. Fair Isle ist seit 1954 im Besitz des National Trust for Scotland, der das Eiland vom Vogelforscher George Waterston erwarb. Waterston erkannte bei einem Besuch im Jahre 1935 die außerordentliche Bedeutung der Insel hinsichtlich ihrer ornithologischen Vielfalt und erwarb Fair Isle seinerseits 1947. Dort errichtete er dann nahe des nördlichen Hafens die Bird Observatory, eine Vogelbeobachtungsstation, die gleichzeitig als Unterkunft für Besucher angelegt war. Sie wich 2009 einem neuen, größeren und modernen Gebäude. Der National Trust wacht sehr sorgfältig über die Entwicklungen und ist maßgeblicher Entscheidungsträger bei der Auswahl der Neubürger. Diese müssen von ihren handwerklichen Fähigkeiten her eine Ergänzung zur bestehenden Gemeinschaft darstellen. Meist werden frei gewordene Häuser, was selten genug vorkommt, dezidiert ausgeschrieben. Darauf ist dann eine Bewerbung möglich. Bevorzugt werden in jedem Falle junge Familien mit kleinen Kindern, die zur örtlichen Grundschule gehen können. Kommunalpolitisch gehört Fair Isle zu den Shetland Inseln, doch über Politik macht sich hier niemand wirklich Sorgen, im Prinzip verwalten sich die Fair Islander nämlich selbst, so hat es zumindest den Anschein für einen Besucher. Geografisch bietet schon der Anflug mit dem 7-sitzigen Flieger, der, sofern es das Wetter erlaubt, einen regelmäßigen Linienverkehr von Tingwall auf Shetland garantiert, das zweigeteilte Bild der Insel. Im hügeligeren und schrofferen Norden, die höchste Erhebung ist Ward Hill mit 217 Metern, dominiert das baumlose, raue Heide- und Moorland, während sich der Süden etwas flacher, grüner, ja fast lieblich, jedoch ebenso baumlos präsentiert. Hier steht der überwiegende Teil der Häuser, hier grasen die Schafe, sind die Weiden und Äcker der Bauern, liegen die beiden kleinen Kirchen und das Heimatmuseum. Einen Pub gibt es nicht, auch kein Restaurant, die Post und der kleine Laden richten sich mit ihren kurzen Öffnungszeiten nach den Flugtagen. Drei- oder viermal in der Woche für wenige Stunden.

Auf zwei Anhöhen steht die lokale Energieversorgung in Form von zwei Windrädern, die 1982 als erste kommerzielle Produktionsstätten von Windenergie europaweit in Betrieb gingen und seither zuverlässig der Gemeinschaft den benötigten Strom liefern. Lediglich bei der aufgrund ihres Alters schon etwas problematischen Beschaffung von notwendigen Ersatzteilen muss dann hin und wieder das Dieselaggregat angeworfen werden. Die beiden Leuchttürme im Norden und Süden wurden 1892 gebaut, South Lighthouse schließlich als letzter bemannter Leuchtturm des Landes am 31.März 1998 automatisiert. Zur Verabschiedung von Angus Hutchison, dem letzten Leuchtturmwärter, erschien als royaler Gast sogar Prinzessin Anne. Nicht alle Briten wissen um die genaue Lage von Fair Isle. Das Inselchen ist eher bekannt vom Seewetterbericht des BBC, der zu jeder Jahreszeit so manch wilde und ungemütliche Wetterlage am Ort zu vermelden weiß. Dieses Wetter sorgte für mancherlei maritimes Ungemach. Schiffswracks aus den vergangenen Jahrhunderten, die auf dem Meeresgrund rund um Fair Isle ruhen, zeugen davon. Prominentestes Opfer war 1588 der Segler El Gran Grifon, der zur legendären spanischen Armada gehörte. 300 Seeleute erlitten Schiffbruch und mussten von der Inselbevölkerung für zwei Monate beherbergt werden, was zu chaotischen Zuständen und großen Versorgungsengpässen führte. Gleichwohl sollen die Iberer für bestimmte Einflüsse bei den berühmten Strickwaren stehen. Anne Sinclair ist da anderer Meinung: „Das ist sicher nicht der Fall gewesen. Unser Muster ähnelt vielmehr einem Vorbild aus Flandern. Es kommt wohl eher von dort – allerdings behaupten die Leute in Flandern, sie hätten es von uns…“ Durch Waterstons einstige Initiative hat die Vogelkunde auf Fair Isle größte Bedeutung. An vielen Stellen im Norden befinden sich merkwürdige Käfige, Verschläge aus Holz und Draht längs der niedrigen Steinmauern. Sie dienen zum Einfangen und Beringen der gefiederten Freunde und geben zudem Aufschluss über deren Wanderverhalten. „Viele Irrläufer, also Vögel, die eigentlich gar nicht hierher gehören, finden wir dort immer wieder“, berichtet Deryk Shaw. Interessanterweise kamen viele Leute, die für eine Saison in der Beobachtungsstation gearbeitet haben, später auf die Insel zurück, um auf Fair Isle heimisch zu werden.

Der junge Mann mit den wettergegerbten Gesichtszügen hatte bis vor Kurzem die Leitung des Observatoriums inne. „Ich helfe immer noch beim Kontrollieren der Käfige. Doch ich wollte auch nach vielen Jahren im Observatory mal wieder etwas anderes tun.“ Und so kümmert sich Deryk nun um den Good Shepherd IV, das Schiff, das die zweite wichtige Versorgungsachse zur Außenwelt darstellt. Im Winter pendelt das robuste Schiff, das im North Harbour stationiert ist, dienstags nach Shetland. Gut zwei Stunden dauert die Überfahrt und kann zuweilen etwas stürmischer sein. Mit dem Good Shepherd, dem Guten Hirten, kommen viele Lebensmittel auf die Insel. Und auch Touristen, die auf dem Schiff eine ausgesprochen preisgünstige Fährpassage buchen können. Selbst das Auto darf theoretisch mit: es wird per Kran an Deck gehievt. „Die Puffins, unsere lustigen Papageitaucher, werden gerne für das Marketing von Fair Isle benutzt. 50.000 davon sind während des Sommers da. Sie sind nett und putzig und kennen dabei so gut wie keine Menschenscheu.“ Das, so Deryk, gilt aber auch für die anderen Seevögel, von denen viele an schier abenteuerlichen Nistplätzen an unwirtlichen Felsen zu finden sind. „Wo die Drehzehenmöwen-Pärchen einträchtig miteinander balzen, liegt dann später bestimmt ein Ei.“ Weniger romantisch veranlagt sind die Skuas, die dunklen Raubmöwen. Sie fliegen auch schon mal die eine oder andere Attacke auf Menschen, wenn sie sich bedroht fühlen. Darüberhinaus sorgen sie aber für Ordnung und Sauberkeit in der Natur, die hier noch ein wenig mehr in Ordnung zu sein scheint.

Anreise

Von den größeren Flughäfen Schottlands aus bedient Loganair, Franchisepartner von FlyBe, die Flugroute zum Flughafen Sumburgh im Süden der Shetland Inseln. Der Weiterflug nach Fair Isle startet mit den Maschinen der Directflight von dem kleinen Flugfeld Tingwall westlich der Hauptstadt Lerwick, Flugdauer etwa 20 Minuten, Vorausbuchung unbedingt erforderlich. Der Weg zwischen den beiden Flughäfen kann mit dem Bus oder etwas schneller mit dem Taxi zurückgelegt werden. Fähren verkehren von Aberdeen nach Lerwick auf Shetland und in Sumburgh im Süden legt der Good Shepherd zur Überfahrt nach Fair Isle jeden Dienstag und Samstag ab, Fahrtdauer etwa 2,5 Stunden, Donnerstag geht es direkt von Lerwick aus. Vorausbuchung unbedingt erforderlich.

Unterkunft

Die Menge der Übernachtungsmöglichkeiten ist sehr begrenzt, eine Vorausbuchung unabdingbar. Üblicherweise ist sowohl die Abholung vom Fair Isle Flugfeld als auch Vollpension im Preis inbegriffen. Bei der Verpflegung wird gern typisch Schottisches in sehr hoher Qualität kredenzt. Sehr gemütlich, gastfreundlich und in spektakulärer Lage das Southlight Guest House. Mehr Jugendherbergscharakter hat die Bird Observatory, in deren modernen und funktionalen Zimmern etwa 35 Personen Platz finden.

Aktivitäten

Naturbeobachtung und Wanderungen sind die Hauptbeschäftigungen, die man auf Fair Isle ausführen kann, wobei die Vielfalt der Vogelwelt zwar im Vordergrund steht, aber auch eine sehr interessante Flora zu finden ist. Während der Brutzeiten sind nicht alle Flächen der Insel zugänglich, ansonsten kann man sich frei bewegen, sollte aber am Klippenrand Vorsicht walten lassen. Weidezäune sind möglichst an den eingerichteten Stellen zu überqueren. Golfspiel ist möglich, die Ausrüstung ist im Auld Haa mietbar, allerdings sollten viele Bälle mitgenommen werden. Segler sind im Nordhafen willkommen, Anlegeplätze vorhanden.

Sehenswert

Neben den beeindruckenden und vielfältigen Naturschönheiten sind das Museum, die Leuchttürme und das Vogelobservatorium einen Besuch wert. Besondere Attraktion sind die Überreste eines deutschen Kampfflugzeuges, welches im Januar 1941 hier abstürzte. Drei Besatzungsmitglieder überlebten den Unfall und wurden gefangen genommen.

Zusätzliche Informationen

Fotocredits: Udo Haafke

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